Dienstag, Februar 28

Vogelgrippe und ihre wundersame Heilung

Ramallah, 27. Februar 2006

Nachdem ich die letzten dreivier Tage etwas rumgekränkelt habe und mit Fieber, Husten und Ganzkörperschmerzen im Bett lag, ging es mir heute schon deutlich besser. Also doch keine Vogelgrippe. Geht ja auch gar nicht.

Denn erstens dürfen Zugvögel ohne Permission gar nicht den israelischen Luftraum betreten, naja, besser gesagt, befliegen und zweitens kriegt man als Mensch die Vogelgrippe nur, wenn man, so hat es zumindest der baden-württembergische Landwirtschaftsminister erklärt, „sich intensiv mit vögeln beschäftigt.“ Und das habe ich die letzen Wochen und Monate nun wirklich nicht…


Nach Stunden des regenerierenden Schlafes in der von der kräftigen Sonne beschienenen Hollywoodschaukel und mehreren Litern Salbeitee mit Honig bin ich gegen Abend dann ins Hammam gegangen, um die restlichen Bakterien, Viren, Würmer und sonstiges Kleingetier aus meinem Körper zu vertreiben.


Der Umkleideraum roch zwar wie eine orientalische Fuß- und Schimmelpilz-Aufzuchtstation, was aber wahrscheinlich ganz einfach daran lag, dass es eine orientalische Fuß- und Schimmelpilz-Aufzuchtstation war, die einfach nach Feierabend als Umkleide genutzt wird.


Das Beste in diesem Hammam waren die heißen Steine. Das sind große, beheizte Marmortische, auch die man sich nebeneinander drauf fläzen kann und sich nach wenigen Minuten wie ein Shrimps auf einer Raclette-Platte vorkommt. Da liegt man dann, wird von unten her weichgekocht, über einem eine beeindruckende Kuppel, von deren Spitze eine nackte 20 Watt-Birne baumelt und aus den Lautsprechern plätschert leise Musik. Mal was anderes als die fehlkonstruierte Nasszelle bei mir zu hause.


Zum Schluss habe ich mir von einem dicken Bilderbuchbademeister mit einem Naturschwamm die oberste Hautschicht abschmirgeln lassen, um mich anschließend einem Physiotherapheuten anzuvertrauen und einer rabiaten Massage zu unterwerfen, die schmerzhaft, aber erholsam war.


Danach: wie neu geboren, top fit, der Husten weggedampfbadet, die Fieberreste ausgeschwitzt. Am Ausgang hängt ein Spiegel, auf dem Abstellbrettchen davor stehen Wattestäbchen, Tissues, ein Bürste und ein 2-Kilo-Eimer Haargel. Der Betreiber weiß eben, was seine Kunden benötigen…


Ein rundum erholsamer Tag, und – dass ist mir auf dem Heimweg aufgefallen – ich habe keinen einzigen Soldaten, keine einzige Schusswaffe gesehen. Das tut zur Abwechslung richtig gut!

Der Wahlsieg der Hamas lässt übrigens nicht nur die Emotionen sondern auch die Brauereikessel hochkochen. Schöne Geschichte, auch für Leute, die kein Bier mögen...


Mittwoch, Februar 22

Die drei Weisen aus dem Morgenland hatten keine Checkpoints auf ihrem Weg nach Bethlehem...

21. Februar 2006

Nach langem Bemühen und zahlreichen Telefonaten hatte ich es endlich geschafft für heute einen Termin für ein Interview mit dem Herausgeber der Jerusalem Times zu bekommen. Um um 10 Uhr am Checkpoint zwischen Bethlehem und Ost-Jerusalem zu sein, bin ich um kurz vor 8 los. Immerhin sind es 40 Kilometer dort hin.

Man kann nämlich nicht einfach an Jerusalem vorbei nach Bethlehem, sondern muss entlang der Mauer einen Bogen um Ma´ale Adumim, dem großen Siedlungsblock östlich von Ost-Jerusalem fahren. Dass heißt auch: auf dem Hinweg drei Checkpoints und auf dem Rückweg drei Checkpoints, was wiederum bedeutet, jeweils drei mal Wartezeit einplanen zu müssen.

Man fährt durch die malerische hügelige Landschaft, durch kleine Dörfer, in denen alte Männer in der Sonne sitzen und den Tag genießen, Frauen die Wäsche auf den Dächern aufhängen und Kinder in den staubigen Straßen Fußball spielen.

Ab und zu sieht man Nomaden mit ihren Herden umherziehen und immer wieder, meist auf Hügelkuppen gelegen, stark befestigte, wie neuzeitliche Ritterburgen anmutende Siedlungen.

Ich frage mich immer wieder, was Menschen jüdischen Glaubens, deren Eltern oder Großeltern aus den Ghettos und den Stedteln Europas nach Israel geflohen sind, dazu treibt, freiwillig hinter Mauern und Stacheldraht eingepfercht zu leben.
Nostalgie? Masochismus?

Auf dem Weg nach Bethlehem zerschneiden immer wieder doppelt eingezäunte Siedlerstraßen die Landschaft. Die sind für normal Sterbliche Tabu, sondern – wie der Name schon sagt – ausschließlich für die Damen und Herren Siedler reserviert, die meinen hier leben zu müssen.

Willkommen in der verkehrsplanerischen Apartheid!


Das Interview war sehr ergiebig und ich habe neben vielen Insider-Informationen auch noch gute Literatur geschenkt bekommen. Anschließend war ich mit drei der Mitarbeitern Essen. Eine witzige Mischung: Eine 24jährige palästinensische Christin aus Bethlehem, die jeden Tag illegal im Auto eines Kollegen, der eine Genehmigung für Jerusalem hat, nach Ost-Jerusalem zur Arbeit kommt, weil sie selbst keine Genehmigung bekommt. Ein amerikanischer Jude, der neben Englisch auch noch fließend Hebräisch und Arabisch spricht und in kürzester Zeit drei Schnitzel und einen Falafel verputzt hat. Und ein älterer Israeli, der General in der IDF ist und nebenbei als Redakteur im Ressort „israelische Sicherheitspolitik“ arbeitet.

Diese drei Personen arbeiten zusammen, scherzen und lachen und verarschen sich gegenseitig non-stop und haben eines gemeinsam: die Einsicht, dass es besser wäre, zusammen in Frieden zu leben anstatt sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen...

Anschließend bin ich wieder rüber auf die andere Seite der Mauer. Als ich gerade ein Foto von dem Soldaten an dem monströsen Checkpoint gemacht habe, spricht mich eine Frau an:

„Don´t you know that it is illegal to take pictures of military areas?“

„This whole checkpoint is illegal. How can it be illegal to photograph something illegal?“

Sie lacht, gibt mir Recht und erzählt, wie die Familie, der das Gelände, auf dem der Checkpoint steht gehörte vor 2 Jahren entschädigungslos enteignet wurde. Due to security measures... wie so ziemlich alles in diesem Land, begründet wird.

Sie kommt aus den Staaten, studiert seit 3 Jahren Theologie in Jerusalem und lebt in Bethlehem. Nachdem sie mir eine kurze Stadtrundführung gegeben hat, geht sie nach Hause und ich zu Rahels Grab. Noch vor 2 Jahren beteten Moslems, Juden und Christen gemeinsam an Rahels Grab, doch dann kam die Mauer.


Die Mauer macht hier einen kleinen Bogen und sorgt dafür, das der Wallfahrtsort auf der israelischen Seite liegt. Die ehemalige Haupteinfahrtsstraße nach Bethlehem, in der früher ein Geschäft neden dem anderen lag, ist jetzt komplett verwaist, denn die Straße darf nur vom Militär und von jüdischen Pilgern befahren werden. Die eine Hälfte des Areals rund um Rahels Grab wurde zum Militärstützpunkt umfunktioniert, die andere Hälfte wurde zur Synagoge.


In der Zufahrtsstrße steht ein Jeep mit 4 oder 5 Soldaten. Ich frage, ob ich rein darf und ich darf. Hübsch haben sie sich´s gemacht: Betonklötze, Stacheldraht, Wachtürme, Überwachungskameras. Richtig gemütlich...


Als ich mich dem Eingang nähere, brüllt mich eine Stimme aus dem Off an: „You´re not allowed to be here!“ Doch, doch, ich bin allowed, die Soldaten vorne haben mich reingelassen. Also gut. Der Soldat kommt von seinen Wachturm runter, guckt in meinen Pass, fragt mich, ob ich alleine oder in einem Taxi hergekommen bin und geleitet mich dann zu einer massiven Stahltür, an die er mit dem Lauf seines Gewehres energisch anklopft.

Ein weiterer Soldat öffnet die Tür und ich kann herein. Drinnen ein Brunnen mit möglicherweise gesegnetem Wasser und zwei Gebetsräumen. Einer für Männer und einer für Frauen. Ist ja auch sinnvoll, sonst ist man doch nur abgelenkt beim Gebet. Die Frauen kommen hierher, um an Rahels Grab für Fruchtbarkeit und Empfängnis zu beten, was die Männer genau wollen, weiß ich nicht. Die sitzen mit dem Oberkörper wippend in einem Raum und kloppen sich Thora-Verse in den Kopf.

Als ich draußen den Armee-Jeep passiere, dröhnt es laut, aber dennoch freundlich „Hello, what´s your name?“ aus dem Lautsprecher. Soldaten (israelische wie palästinensische) machen übrigens gerne und häufig Gebrauch von den Lautsprechern auf ihren Fahrzeugen. Strahlt ja auch unheimlich Autorität aus, irgendwie...


Ich quatsche kurz mit den Soldaten, die alle in etwa in meinem Alter sind über Dinge, die wichtig sind. Krieg und Frieden, Mercedes, Israel, Frauen und so weiter. Als sie als Antwort auf die Frage, wo ich denn wohne „Ramallah“ hören, sind sie entsetzt. Ein gefährliches Pflaster, ob ich denn keine Angst hätte.

Tscha, das glaube ich denen gerne, dass es für sie ein gefährliches Pflaster ist. Aber wenn man als Mensch und nicht als Soldat einer Besatzungsarmee nach Ramallah geht, wird man herzlich empfangen.

Der Soldat ganz rechts auf dem Bild ist äthiopischer Jude und kam mit 5 Jahren im Zuge der Operation Moses nach Israel. Er trägt eine dicke ballonförmige Wollmütze und spricht - im Gegensatz zu seinen russisch-stämmigen (und meist auch stämmigen) Kollegen richtig gutes Englisch.

Ich bin gerade am Weitergehen, als ein Taxi mit offenen Fenstern und lauter Musik die Kurve vor dem Jeep vorbeifährt. Die Insassen klatschen im Rhythmus und singen. Einer der Soldaten springt aus seinem Jeep, hebt einen Stein auf und schmeißt ihn auf das Auto, trifft aber nicht. So macht man sich Freunde unter den Einheimischen!

Bethlehem selbst ist eine schöne, gemütliche Kleinstadt. Sehr viele Christen (trotzdem gingen bei den Wahlen 2 von 4 Sitzen an Hamas-Kandidaten, die anderen 2 Sitze nur über die Christenquote an Fatah-Leute) und alles voller Souvenirläden.


Nur gibt´s keine Touristen , denn seit der Intifada ist der Tourismus völlig zusammen gebrochen. „Hin und wieder kommt eine Busladung Amerikaner oder Italiener, aber die laufen meist nur durch die Stadt und kaufen nichts“, meint Adnan, ein Ladenbesitzer traurig. Und seit Bethlehem von der Mauer umringt ist, ist es für die Bewohner nur mit spezieller Genehmigung möglich nach Jerusalem zu gehen. Man kann die Kuppel des Felsendomes sehen – die Jerusalemer Altstadt ist vielleicht 6 Kilometer Luftlinie entfernt. Adnan war seit 5 Jahren nicht mehr dort.

In der Geburtskirche bietet sich ein kafkaeskes Schauspiel: die Kirche ist in mehrere Segmente unterteilt, in jedem findet gerade ein anderer Gottesdienst statt. Der katholische auf Latein, der syrisch-orthodoxe auf Arabisch, der russisch-orthodoxe auf Russisch und in der Geburtsgrotte sitzt eine der besagten Busladungen Pilger auf Wisconsin und singt „Go, tell it on the mountain“.



Auf dem Rückweg wieder entlang der Mauer und durch die Hügel. Als wir an einem der Checkpoints mal wieder ewig warten müssen, meint ein Mitfahrer:

„Jeden Tag Probleme mit den Juden!“

Ich frage ihn, wieso er nicht „Israelis“ oder noch präziser „israelische Soldaten“ sagt.

Weil er die Israelis nicht meint, antwortet er, denn der Begriff würde auch die 20% arabische Israelis einschließen, seine „arabischen Brüder“, wie er sie nennt. Und die würden ja auch nicht in der Armee dienen (tun sie wirklich nicht - sie werden nicht eingezogen, weil man an ihrer Loyalität zweifelt), deswegen seinen alle Soldaten, die ihm tagtäglich das Leben schwer machen und auch alle Siedler, die immer mehr Land für den Bau der Siedlungen rauben, Juden. Also sei es auch korrekt, diese beiden Begriffe synonym zu verwenden. Traurig, aber wahr...


Nach dem Checkpoint dann eine kurze Pause an einer Tankstelle – unser Fahrer musste beten. Selbstverständlich hatte er seinen persönlichen Gebetsteppich im Kofferraum, den er auf dem ölgetränkten Boden der Tanke auslegte und, nachdem er sich Hände und Füße gewaschen hatte hinter dem Auto, also vor dem Auspuff betete. Bei laufendem Motor, versteht sich.

Dass ich hier so oft und so ausführlich über Checkpoints berichte, hat nichts mit einem persönlichen Faible für selbige zu tun, sondern schlicht und ergreifend damit, dass man in der West Bank keine halbe Stunde Auto fahren kann, ohne an einen Checkpoint zu kommen. Dadurch wird einem ständig bewusst, dass das Gebiet unter militärischer Besatzung steht.

Und diese Besatzung kann nur durch Gewalt und die massive Präsenz des Militärs aufrechterhalten werden, weil sie – wen wundert´s? - nicht den Hauch eines Rückhaltes in der Bevölkerung hat.

Checkpoints können aber auch ästhetisch sein. Wenn keine Soldaten da sind, zum Beispiel.

Das habe ich neulich bei einem Spaziergang durch die Gegend um Birzeit festgestellt. Dort war der Checkpoint total verwaist.


Manchmal ist er offen und man wird kontrolliert, manchmal ist er komplett geschlossen und man kommt gar nicht durch, manchmal ist auch überhaupt kein Soldat da. Was wieder einmal mehr beweist, dass es bei der ganzen Sache mit den Checkpoints nicht etwa um Sicherheit sondern um Kontrolle, Dominanz und willkürliche Demütigung geht...

Montag, Februar 20

Der Wahlsieg der Hamas kommt der israelischen Politik sehr gelegen

Ramallah, 18. Februar 2006


Heute trifft sich das nach den Wahlen vom 25. Januar neu gewählte palästinensische Parlament zur konstituierenden Sitzung in Ramallah. Die neue Regierung wird jedoch weder von Israel, noch von der internationalen Gemeinschaft akzeptiert.


Die Hamas-Liste „Veränderung & Reformen“ ist aus den Parlamentswahlen als klare Siegerin hervorgegangen, sie stellt 74 der insgesamt 132 Abgeordneten. Zusammen mit den 4 parteilosen Kandidaten, die sich auf die Seite der Hamas geschlagen haben, können sie sich also auf eine solide absolute Mehrheit verlassen.

Doch schon bei einer an sich so selbstverständlichen Angelegenheit wie einer Parlamentssitzung zeigt sich das ungleiche Kräfteverhältnis im israelisch-palästinensischem Konflikt:

Die 30 Abgeordneten aus Gaza, unter ihnen der Spitzenkandidat der Hamas, Dr. Mahmoud Al-Zahar und der Vertreter der gemäßigten Kräfte der Hamas, Ismael Hanija, der aller Voraussicht nach das Amt des Ministerpräsidenten bekleiden wird, werden an der Sitzung nicht teilnehmen können. Sie werden, wie in den letzten Jahren schon des Öfteren geschehen, per Videokonferenz zugeschaltet werden.

Der Grund dafür? Die israelischen Behörden, die jeglichen Kontakt mit der neuen palästinensischen Regierung ablehnen, verweigern den Parlamentariern aus Gaza die Transit-Genehmigungen, die sie benötigen, um in die West Bank zu reisen. Der Gazastreifen ist und bleibt ein Freiluftgefängnis mit Meerblick.

Und in der Tat kommt der Wahlsieg der Hamas (gerne mit dem Adjektiv „radikal-islamisch“ versehen) der schon seit Jahren praktizierten israelischen Politik der unilateralen Entscheidungen in vielerlei Hinsicht gelegen, da nun keinerlei Rücksicht auf die palästinensische Seite mehr genommen werden muss. Statt dessen kann Israel nun völlig ungehindert seine militärische und ökonomische Überlegenheit nutzen, um weitreichende Entscheidungen in seinem Sinn zu treffen, anstatt lästige Verhandlungen mit der palästinensischen Seite zu führen.


Systematische Diskreditierung

Während den letzten Jahren der Amtszeit Arafats wurden Verhandlungen kategorisch abgelehnt, da Arafat „kein Partner für den Frieden“ sei. Sharon hingegen wurde von Bush junior zum „Mann des Friedens“ geadelt. Nach dem lang ersehnten Tod Arafats am 11. November 2004 wurde Abu Mazen (Mahmoud Abbas) erstaunlich reibungslos nach nur zwei Monaten zu dessen Nachfolger gewählt. Israel hoffte auf einen willigen (weil gemäßigten) Verhandlungspartner, der das Diktat der Forderungen ohne eigene Bedingungen zu stellen akzeptiert.

Als ziemlich bald klar wurde, dass dies nicht der Fall sein würde, begann Israel auch Abbas zu diskreditieren, ihn und seine Regierung in den inner-palästinensischen Machtkämpfen zu schwächen und ihm anschließend vorzuwerfen, er würde nicht entschieden genug gegen die bewaffneten palästinensischen Gruppen vorgehen.

Und Israel begann, statt sich an verhandelte, beidseitig akzeptierte Kompromisse (wie das Oslo-Abkommen oder die road map des Nahost-Quartetts) zu halten einseitige, unilaterale Entscheidungen zu treffen. Die Umwandlung der Besatzung des Gazastreifens in eine Belagerung des selbigen war ein erster solcher Schritt.

Einziges Problem bei der systematischen Ignorierung der Gegenseite: die palästinensische Regierung war demokratisch legitimiert, hatte einen starken Rückhalt in der Bevölkerung und konnte hin und wieder sogar auf internationale Unterstützung zählen.

Mit dem Wahlergebnis vom 25. Januar hat sich auch dies grundlegend geändert. Westliche Politiker werden seither nicht müde, die Palästinenser für ihre Wahlentscheidung zu tadeln. Wir geben euch Demokratie und ihr wählt die falsche Partei! Und wegen der zwar demokratischen, aber leider nicht im Sinne des Westens ausgefallenen Entscheidung der palästinensischen Bevölkerung wird nun über eine Einstellung sämtlicher Finanzhilfen, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und diplomatischen Beziehung geliebäugelt.

Endlich hat Israel einen Verhandlungspartner, der keiner ist; eine palästinensische Führung, die auch international nicht auf Rückendeckung und Unterstützung hoffen kann. Regierungen, die auch nur mit Hamas-Politikern reden, ziehen den offenen Hass Israels auf sich, wie jüngst mit Russland und der Türkei geschehen. Ein Dialog mit (und damit eine Stärkung der) moderaten und pragmatischen Strömungen innerhalb der Hamas, ein Einbinden (und damit die Möglichkeit der Einflussnahme auf) der radikalen Kräfte ist offensichtlich nicht erwünscht.



Es muss aber auch Grenzen geben!

Statt dessen wird von der neuen Regierung gefordert, sie solle gefälligst Israel anerkennen. Schön und gut, aber erkennt Israel eigentlich einen Staat Palästina an? Und welches Israel soll die Hamas-Regierung denn anerkennen? Das Israel, das von den Vereinten Nationen 1947 vorgesehen war? Das Israel, das aus dem Gründungskrieg 1948 hervorging? Das Israel, das nach dem 6-Tage-Krieg 1967 entstand und neben dem Westjordanland und dem Gazastreifen auch die Golanhöhen, Südlibanon und die Sinaii-Halbinsel umfasste? Oder das Israel, das momentan durch den Bau der Mauer (im wahrsten Sinne des Wortes) festzementiert wird und 10% der West Bank, darunter die fruchtbarsten Gegenden und zahlreiche Quellen dem israelischen Kernland einverleibt?



"If I was an Arab leader I would never make [peace] with Israel. That is natural: we have taken their country."

(Der erste israelische Premierminister David Ben Gurion)


Die Existenz eines Staates anzuerkennen, der sich selbst beharrlich weigert seine eigenen Grenzen klar zu definieren und diese dann auch zu respektieren wäre kein Friedensangebot, sondern eine bedingungslose Kapitulation gegenüber einer übermächtigen Kolonialmacht mit imperialistischen Ambitionen.

Khalid Meschaal, Chef des Hamas Politbüros in Damaskus, hat in der Frage der Anerkennung Israels die Forderungen der Hamas klar formuliert. Der russischen Zeitung "Nesavisimaja Gaseta" sagte er: "Wenn Israel unsere Rechte anerkennt und sich verpflichtet, aus allen besetzten Territorien abzurücken, wird die Hamas und mit ihr das palästinensische Volk beschließen, dem bewaffneten Widerstand ein Ende zu setzen."

Also kein kategorisches Ablehnen des Existenzrechts Israels, sondern eine für die Hamas bisher ungewöhnliche Kompromissbereitschaft. Ein Abrücken der bisherigen Maximalforderung des Anspruches auf das gesamte historische Palästina, sondern ein Friedensangebot im Zuge einer Zwei-Staaten-Lösung.



Klammheimliche Annektion

Das Thema der umstrittenen Grenzziehung erhält durch das Wahlsieg der Hamas und der kategorischen Ignorierung der neuen Regierung neue Brisanz, wie ein in der internationalen Öffentlichkeit kaum wahrgenommenes Ereignis letzte Woche gezeigt hat:

Am 9. Februar nutze der derzeit amtierenden israelische Ministerpräsident Ehud Olmert einen Besuch im Jordantal, um eine in seinen Worten „historische Entscheidung“ publik zu machen. Er erklärte, das Jordantal sei nunmehr kein besetztes, sondern annektiertes Gebiet und werde „ungeachtet jeder Friedensregelung mit den Palästinensern“ dem Staat Israel angegliedert, um die östliche Grenze Israels zu sichern.

Es werde eine Trennung von den Gebieten mit mehrheitlich palästinensischer Bevölkerung geben und Israels Staatsgrenzen würden endgültig festgelegt werden. Geplant war die Abtrennung des Jordantals schon seit langem, durchgesetzt wurde sie jetzt, da die Welt auf die Hamas schaut.

Durch die Annektion wird rund ein Drittel des Westjordanlandes vom Rest der Westbank abgeschnitten und ein lebensfähiger palästinensischer Staat wird ein für alle mal ein Ding der Unmöglichkeit.


Das Jordantal ist 15 Kilometer breit und verläuft über eine Länge von 120 Kilometern in Nord-Süd-Richtung parallel zum Jordan. In dem Areal leben rund 47.000 Palästinenser in 20 Gemeinden und rund 6.300 jüdische Siedler in 30 illegalen Siedlungen.
Auf der Karte ist das Jordantal in hellem gelb eingezeichnet. Jericho liegt als Insel mitten in israelisch kontrolliertem Gebiet. Auch erkennt man sehr gut, dass durch die Annektion eine Verbindung zum ebenfalls annektierten Ost-Jerusalem hergestellt wird und die verbleibenden palästinensischen Gebiete in seperate Kantone unterteilt werden.




Due to security measures…

Kurz nach dieser Ankündigung Olmerts traf die israelische Armee die nötigen Maßnahmen:


-
Vier zusätzliche stationäre Checkpoints kontrollieren den Zugang ins Jordantal, 2 Millionen Palästinenser bleibt damit der Zugang in das Gebiet verwehrt.

-
Zutritt erhalten nur Personen, die im Jordantal leben und die 5000 Palästinenser, in den israelischen Siedlungen im Jordantal arbeiten. (Billige Arbeitskräfte braucht man nun mal um eine Apartheid aufrecht zu erhalten…) Keinen Zugang erhalten jedoch Palästinenser, die landwirtschaftlich genutzte Flächen in der Region besitzen oder einfach nur Verwandte besuchen möchten.

-
Die Straßen im Jordantal dürfen nur noch von israelischen Autos befahren werden.


Zusätzlich wurden seit letzter Woche regelmäßig nächtliche Razzien durchgeführt, bei der die israelische Armee aufgegriffene Personen, die nicht in der Region gemeldet waren, einsammelte und außerhalb des Jordantals aussetzte. Nicht ohne vorher ihre Ausweispapiere zu konfiszieren, um eine erneute „Einreise“ zu verhindern. In Fachkreisen des Völkerrechts nennt man eine solche Maßnahme „ethnische Säuberung“.

Dass es bei der Annektierung nicht, wie behauptet, um Sicherheit, sondern um Zugang zu Wasser geht, liegt auf der Hand und ist der unausgesprochene eigentliche Grund der Annektion. Immerhin ist Jericho, welches mitten im Jordantal liegt, die mit abstand friedlichste Stadt der besetzten Gebiete, selbst während der Intifada gab es hier keine nennenswerten Zusammenstöße. Zudem besteht seit 1994 ein Friedensvertrag mit dem östlichen Nachbarn Jordanien.

Doch der Jordan und das Tote Meer, in welches dieser mündet, sind neben den bereits 1981 annektierten Golanhöhen die wichtigsten Wasserreservoirs der Region. Wenn man durch das Jordantal fährt und die unzähligen Entsalzungsanlagen und künstlich bewässerten Plantagen und Gewächshäuser sieht, wird dieser Sachverhalt mehr als deutlich.


Dass der Zugang zum Wasser und den fruchtbaren Böden der eigentliche Grund der Annektion sind, zeigt sich zudem in der Tatsache, dass das israelische Landwirtschaftsministerium (!) angekündigt hat, die Zahl der momentan 6300 Siedler in der dünn besiedelten Region noch innerhalb dieses Jahres zu verdoppeln.

Seit wann ist das Landwirtschaftsministerium für Siedlungspolitik zuständig? Und war da nicht so etwas wie die road map, die jeglichen Siedlungsbau untersagte? Aber wie so oft fühlt sich Israel an bereits getroffene Vereinbarungen nicht gebunden und setzt seine Politik der einseitigen Maßnahmen weiter fort.

Internationaler Protest gegen dieses völkerrechtswidriges Vorgehen regt sich jedoch keiner. Zwar lässt Condoleeza Rice verkünden, Israel solle doch bitte getroffene Abkommen respektieren und von einseitigen Grenzziehungen absehen, doch stößt dies auf israelischer Seite auf wenig bis gar kein Gehör.

Den Verantwortlichen in der israelischen Regierung ist anscheinend bewusst, dass es sich hierbei um ein wenig Alibi-Protest handelt, denn wenn die USA wirklich etwas gegen die Annektion einzuwenden hätten, gäbe es Mittel und Wege, Israel davon abzuhalten. Eine Reduzierung der jährlich 3 Milliarden US $ „Entwicklungshilfe“ oder das Verweigern des amerikanischen Vetos im UN Sicherheitsrat beispielsweise.

Der Protest der palästinensischen Autonomiebehörde wird auf internationaler Ebene gar nicht vernommen, auch der EU-Beauftragte für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, nahm nach seinem Treffen mit dem amtierenden palästinensischen Premierminister Qurei am Donnerstag in Ramallah keinerlei Stellungnahme zu der Annektion palästinensischen Gebietes.


Schließlich, so scheint die einhellige Meinung zu sein, handelt es sich bei den Palästinensern um einen Haufen Terrorgruppen-an-die-Macht-wählenden Arabern, die gefälligst mit dem Widerstand gegen die Besatzung aufhören und sich statt dessen mit den gegebenen Kräfteverhältnissen abfinden sollen und sich einen eigenen Staat und einen gerechten, beide Seiten zufrieden stellenden Frieden ein für alle mal an den Hut, bzw. an die Keffayeh stecken können.


Links:

Artikel in der Jerusalem Post und in der Ha'aretz

Berichte von imemc.org und der israelischen NGO B´tselem

Freitag, Februar 17

Engel mit Hut und Soldaten mit Kippa

Ramallah, 16. Februar 2006

Heute bin ich in aller Frühe nach Jerusalem gefahren, um ein paar Interviews zu führen und Informationen zu sammeln. Am Qalandya Checkpoint war es zu dieser Uhrzeit ungewöhnlich leer. Hinter der Panzerglasscheibe des Kontrollhäuschens sitzt eine unverschämt gut aussehende blond gelockte Soldatin.

Erst schaut sie mich eine Weile an, dann bittet sie mich über den knarzenden Lautsprechen, meine Jacke und meinen Gürtel auszuziehen. Mehr aber auch nicht. Schade. Statt dessen nur den Pass an die Scheibe halten und weiter gehen. Unter normalen Umständen hätte diese Situation ja schon etwas witziges an sich, aber hier ist nun mal nichts normal…


Nach einer halben Stunde herumirren – die alte Sache mit den Straßennamen und den Hausnummern – finde ich meine Gesprächspartner. Der eine in der Straße, die von der Salahedinstraße abgeht hinter dem Zahra-Hotel, der andere in der Nähe des American Colony Hotels, in der Straße wo das Restaurant Pascha ist, und da schräg gegenüber. Beides mal wieder genial präzise und einfach zu findende Adressen…

Unterwegs habe ich festgestellt, dass es auch in Jerusalem Street-Art gibt. Und dass diese sogar der Heiligkeit dieser Stadt angemessen ist.


Anschließend bin ich noch kreuz und quer durch Ost-Jerusalem und durch die Altstadt geschlendert. Viele bekannte und einige neue Ecken, die gewohnte Bewaffnetendichte (die wahrscheinlich die höchste weltweit ist) und die für Jerusalem typische Mischung aus Angehörigen monotheistischer Religionen, Händlern und Touristengruppen.





An der Klagemauer war gerade
Wandertag des Militärs, es waren
mehr grüne Uniformen der Soldaten als schwarze Uniformen der
Orthodoxen anwesend.


Mittlerweile habe ich mich an diese allgegenwärtige Präsenz
von Bewaffneten gewöhnt, aber dennoch hat es etwas seltsames
an sich, wenn Mensche
n mit umgehängten Schusswaffen ihr
höchstes religiöses Heiligtum besuchen









In einem kleinen Café in einem Gewölbekeller voller alter kartenspielenden Männern habe ich, abgesehen von einem guten, starken arabischem Kaffee noch ein schönes Exemplar für meine Sammlung „siffige Toiletten dieser Welt mit weniger als 1 qm Grundfläche“ entdeckt.


Nach einem Abstecher in eine Thoraschule, in der erstaunlich lockere Orthodoxe verkehrten, habe ich mich wieder zum Damaskustor begeben, um meine Heimreise in die dritte Welt anzutreten.



Der Checkpoint ist das Nadelöhr, welches die die beiden Welten voneinander trennt. Auf der anderen Seite – man kommt direkt am Qalandya Flüchtlingslager raus - sind die Straßen in einem miserablen Zustand, durch den Regen der letzten Tage versinkt alles im Schlamm.




Ich war übrigens gestern beim Frisör. Seitdem trage ich Mütze...



Nicht dass ich es bereue, aber man darf nicht zuviel erwarten von einem Frisör, der kaum Englisch spricht und solche Beispielbilder in seinem Laden hängen hat...



Ich habe mich für die Frisur ganz unten rechts (die vor dem Blumenkübel) entschieden...

Montag, Februar 13

Nablus - Stadt der Märtyrer und der Süßwaren

Samstag, 11. Februar 2006

Wieder mal ein Samstag, wieder mal ein freier Tag. Also wohin? Jerusalem? Nee, war ich schon. Ich will was neues sehen. Also ab nach Nablus. Trotz Reisewarnung der deutschen Botschaft, denn ich bin fest davon überzeugt, dass mein rudimentäres Arabisch allemal ausreicht, um meinen eventuellen Entführern klar zu machen, dass die deutsche Regierung keinen Cent für mich ausgeben würde…

Mal im Ernst: Letzte Woche wurde zwar ein Deutscher in Nablus entführt, aber nach einer Stunde wieder frei gelassen. Ich halte diese Panik für leicht übertrieben, von wegen: bloß nicht hin fahren! In Florida werden im Jahr statistisch gesehen mehr Touristen ausgeraubt, entführt oder auch gleich erschossen als in Nablus. Anscheinend haben die zahlreichen Statistikseminare, wenn schon keine Scheine, so doch zumindest ihre Wirkung hinterlassen…

Also ab ins Sammeltaxi, diesmal einen uralten Benz, der landesüblich mit Teppichen, Bommelbordüren und Tissuespender ausgestattet und mit 8 Personen beladen ist, nach Nablus. Wir sind gerade durch Birzeit durch, da sehen wir schon den Stau. Der Checkpoint nördlich von Birzeit ist völlig überlaufen. Nach einer halben Stunde Wartezeit mit stop and go und intensiver Nutzung der Hupe durch den Fahrer sind wir endlich dran. Ein Soldat sammelt die Pässe ein und fragt mich die altbekannten Fragen.

Die lernen die wahrscheinlich in der Grundausbildung auswendig, denn es sind wirklich immer exakt die gleichen Fragen. Ein anderer Soldat sitzt in einem Kabuff und lehnt sich mit den Unterarmen auf ein Kissen. Wie ein Ripp-Shirt tragender Neuköllner Rentner an seinem Fenster. Mit dem Unterschied, dass er Uniform trägt und zudem seine M16 auf die vorbeifahrenden Autos gerichtet hält. Nur für den Fall der Fälle. Könnte ja sein, dass man zwischendurch mal jemanden erschießen muss…

Eigentlich könnte man auch eine kleine Straße als Abkürzung am Checkpoint vorbei nehmen, aber die ist durch eine massive Stahlkonstruktion versperrt und ein gepanzerter Hummer nebst Besatzung steht davor und wacht darüber, dass niemand aus der Reihe tanzt. Eine andere beliebte und weit verbreitete Methode ist es auch, road blocks zu errichten. Da werden dann ein paar große Felsbrocken mit Hilfe eines Caterpillars auf die Straße geschafft, noch ein paar Schaufelladungen Erde rundherum und fertig ist die unpassierbare Straße, was die Menschen dann zwingt, weite Umwege über israelisch kontrollierte Straßen zu nehmen.

Nachdem wir die eingezäunte Siedlerstraße überquert haben, geht es weiter durch die wunderschöne Landschaft. Terrassen, Olivenhaine, Hügel, hin und wieder ein verschlafenes Dorf oder eine umzäunte Siedlung. Und ab und zu ein Militärjeep auf Patrouille. Über der ganzen Szenerie ein klarer blauer Himmel, bestückt mit einer bereits ziemlich kraftvollen Februarsonne.

Kurz vor Nablus dann ein weiterer Checkpoint. Aussteigen, zu Fuß durchgehen und wieder ins Taxi. Keine hundert Metern entfernt sieht man durch einen stacheldrahtgekrönten Zaun eine Hand voll Siedler auf ihre Shuttle-Busse warten. Ein Soldat lehnt gelangweilt mit einem Tränengasgranatenwerfer an den Füßen eines Wachturmes.

Bei der Fahrt in das Zentrum von Nablus fällt mir ein großer Gebäudekomplex auf, der komplett eingestürzt ist. „Das war mal eine Polizeistation und ein Gefängnis“, erklärt mir ein Mitfahrer, „wurde 2004 von F-16 Kampfjets bombardiert…“

Nablus liegt in einem Tal eingeklemmt zwischen zwei Berghängen und wächst unaufhaltbar die Hänge hinauf.


Immerhin leben hier mittlerweile gut 100.000 Menschen. Darunter 500 Samariter. Das ist eine jüdische Sekte, die sich irgendwann mal vom Mainstream-Judentum abgespalten hat. Die Samariter genießen Minderheitenschutz, haben einen Quotensitz im Stadtrat von Nablus und im palästinensischen Parlament und sind (im Gegensatz zu den Siedlern, haha!) anscheinend ganz gut integriert.
Das witzigste ist jedoch: Sie haben sich entschlossen, palästinensische Staatsbürgerschaft anzunehmen, denn sie erkennen den Staat Israel nicht an, weil man mit der Staatsgründung nicht bis zur Rückkehr des Messias gewartet hat… Klingt logisch!

Das Stadtbild dominieren alte Steinhäuser mit Holzbalkonen, mittendrin steht ein 8-stöckiges, spiegelverglastes Monstrum von einem Neubau. Die Altstadt hat enge und verwinkelte, größtenteils überdachte Gassen. Eine typische arabische Medina. Der Souk ist wie üblich nach Branchen aufgeteilt, überall wetteifern die Händler im lautstarken Anpreisen ihrer Waren.


Im Unterschied zu anderen arabischen Städten gibt es aber nur wirkliche Gebrauchsgegenstände und keinen Ramsch, keine Souvenirs und auch keine schleimigen Touristenabzocker. Denn hier gibt es keine Touristen. Laut Reiseführer gibt es in Nablus nicht einmal ein Hotel. Früher gab es mal welche, aber seit dem Ausbruch der ersten Intifada ist der Tourismus in Palästina gegen Null gegangen.
Während des ganzen Tages habe ich exakt 3 Westler gesehen – ein Kamerateam. Umso begeisterter von meiner Anwesenheit sind die Kinder, die alle ihre Englischkenntnisse ausprobieren und fotografiert werden wollen.




Wenn schon keine Hotels und Touristen, so gibt es in Nablus jedoch reichlich:

- Zwergwüchsige (habe ich drei gesehen)
- Albinos (habe ich bestimmt zehn gesehen) und
- Märtyrerplakate (Die hängen überall).

Märtyrer gibt's in Nablus ohne Ende (seit Beginn der zweiten Intifada gab es in Nablus laut UN-Bericht 522 Tote, darunter 28 Frauen und 80 Kinder) und jeder kriegt sein eigenes Plakat. Manche sind sehr schlicht gestaltet, andere sind schiere Meisterleistungen des Grafikdesigns. Manchmal sieht man auch monumentale Märtyrer-Denkmäler, mit Blumen, Fotos und Inschriften. Auch Wandbilder und die Schriftzüge der Milizen sieht man sehr häufig.


Ich hatte sogar das zweifelhafte Vergnügen, mich mit einer handvoll Al-Aksa-Brigaden-Aktivisten zu unterhalten, die vor einem der Denkmäler rumlungerten, aber irgendwie habe ich immer ein komisches Gefühl, wenn ich mich mit bewaffneten Menschen unterhalte. Wenn der Gesprächspartner eine geladene Waffe vor dem Bauch hängen hat, überlegt man sich instinktiv zweimal, was man sagt.



Nablus ist eine Hochburg des bewaffneten Widerstands, so gut wie jede Nacht kommt es zu Schiessereien, wenn israelische Soldaten in die Stadt eindringen und Leute verhaften wollen. Dabei gibt es immer wieder Tote, was wiederum neue Märtyrerplakate zur Folge hat. Der altbekannte Teufelskreis der Gewalt, denn jeder Tote, jeder Verletzte, jedes zerstörte Haus (seit der zweiten Intifada laut UN 9.055 allein im Distrikt Nablus) bringt den Milizen mehr Zulauf. In sofern können die wirklich dankbar für die Besatzung sein, denn ohne die israelische Armee wären auch sie arbeitslos…

Nachdem ich stundenlang durch die verwinkelten Gassen der historischen Altstadt und entlang des Hanges, auf dem der Tempel der Samariter steht geschlendert bin, gehe ich weiter Richtung Balata-Flüchtlingslager. Hier sind die Gassen enger, die Häuser runtergekommen und einfach gebaut. Überall Wandsprüche, Parolen, Flaggen. Es gibt ywar eine Kanalsisation, aber an manchen Stellen quillt das Abwasser aus undichten Rohren und läuft die Straßen entlang...



Weil ich zwei schnurrbärtigen Teenagern weder Geld noch Zigaretten gaben wollte, landen kurze Zeit später erst eine Flasche und einige Steine aus dem Nichts neben mir auf dem Boden. Auch eine Form, seinen Unmut auszudrücken, allerdings keine Form, um den Tourismus anzukurbeln…

Nachdem ich mich mit einem halben Kilo Baqlawa ausgestattet habe – Nablus ist berühmt für seine Süßwaren – mache ich mich auf den Rückweg, denn ich will vor Anbruch der Dunkelheit und vor Ausbruch der Kämpfe aus der Stadt raus sein. Am Checkpoint heißt es erst mal anstehen, denn aus A-Gebieten raus gibt es immer deutlich strengere und peniblere Kontrollen als rein. Nach dem ersten Drehkreuz und der Passkontrolle geht es durch einen Metalldetektor und dann weiter zur Gepäckkontrolle.

Ich stehe mit hunderten von Palästinensern in vier verschiedenen Reihen an den Schaltern zur Gepäckkontrolle an, als mich ein Soldat in der Menge entdeckt und mir zuruft:

- What are you doing here?
- I´m waiting to get trough...
- But this is for Arabs only – you can pass!

Ein alter Mann, der neben mir steht, kommentiert diese Aussage: „You see? This is how they treat us day by day. They treat us like animals. It is humiliating!”


Im Nachhinein fallen einem immer so viele passende Erwiderungen ein, aber in dem Moment war ich einfach nur baff. Konsequenterweise hätte ich sagen müssen, dass ich genauso eine Bedrohung für die Sicherheit darstelle, wie ein alter Mann, der in sein Dorf zurück will, wie eine Frau mit Einkaufstüten und wie ein Arzt, der Patienten ins nächstgelegene Krankenhaus bringt. Und deswegen soll er mich doch gefälligst auch durchsuchen…

Aus dem Ausspruch des Soldaten spricht eine Geisteshaltung, fast möchte ich schon sagen: eine Ideologie, die einfach nur rassistisch ist. Anders kann man es nicht nennen. Und der einzelne Soldat, der diese Geisteshaltung zur Schau stellt ist ja auch nur Produkt seiner Sozialisation. In diesem Land Israel/Palästina, wird auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens entlang ethnischer Grenzlinien darüber entschieden, welche Rechte ein Mensch hat.

Jüdische Israelis haben alle Rechte, Ausländer sind Gäste, die will man nicht vergraulen, arabische Israelis sind so´n Zwischending und Palästinenser können nach Lust und Laune eingesperrt, aufgehalten und rumkommandiert werden.

Ich hätte unter meiner Jacke oder in meiner Tasche sonst noch was bei mir haben können, aber ich bin kein Araber, deswegen bin ich ungefährlich, oder wie?!? Aber den Jungs und Mädels, die an den Checkpoints ihren Wehrdienst (oder, besser und passender gesagt: ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung der Besatzung) leisten, sind von klein auf indoktriniert, gehirnwascht und verblendet. Araber = Terroristen. Basta!

Aber bei den Checkpoints geht es ja nicht wirklich um Sicherheit, es geht um Kontrolle. Denn wer ein Attentat plant, verlässt die Stadt nicht durch den Checkpoint, sondern irgendwo in der Walachei über die Felder. Und da ändert auch die Mauer nichts dran. Wer rüber kommen will, der kommt rüber, notfalls unten drunter durch. An den Checkpoints geht es in erster Linie um Zugangskontrolle, die Möglichkeit der kompletten Abriegelung der gesamte Westbank und darum, die Bevölkerung spüren zu lassen, wer hier das Sagen hat.



Und das wurde uns auf dem Heimweg noch zwei mal verdeutlicht, als unser Taxi an flying Checkpoints angehalten wurde und unsere Ausweise per Funk auf Vorstrafen, Haftbefehle und Widerstandsaktivitäten überprüft wurden.

Meiner übrigens auch. Diesmal gab es keinen Herrenrassenbonus…

Dienstag, Februar 7

Das geschieht Dänen recht!

Die Skandinavier sind gottlose Leute, »schier wie Bestien«, urteilt Ahmed Ibn Fadlan, ein Abgesandter des Kalifen von Bagdad, der die Sitten der Barbaren aus dem Norden in den Jahren 921 und 922 erkundete. Es komme sogar vor, dass sie ihren sexuellen Trieben in der Öffentlichkeit nachgehen, »der eine vor den Augen des anderen«. Ihre Habsucht sei ebenso unermesslich wie ihre Gier nach Schweinefleisch, und sie konsumieren »Tag und Nacht« alkolholische Getränke »Oft genug geschieht es, dass einer von ihnen mit dem Becher in der Hand stirbt.«


Auerhauerhauerha! Diese Karikaturengeschichte hat sich mittlerweile zu einem waschechten Kampf der Kulturen entwickelt, der komplett durchgeknallte Mob frommer Muslime (und solche, die sich dafür halten) von Casablanca bis Jarkata ist empört und brandschatzt alles, was nicht bei "Allahu akbar!" auf den Bäumen ist und die Europäer halten die Meinungs- und Pressefreiheit hoch.

Klar, natürlich gibt es die, aber mich würde ja mal interessieren, wie diese ganzen "Ist doch deren Problem bei uns gibts immernoch Meinungsfreiheit Fuzzis", die gerade Talkshows und Feuilletons bevölkern, reagieren würden, wenn die dänischen Karikaturisten statt einem grimmigen, blutrünstigen Propheten mit Bombe im Turban den Papst im Puff oder einen schweineschnitzelfutternden Rabbi beim Panzer fahren gezeichnet hätten.

Ich wette, da würde es weniger Verständnis geben.

Es gibt Meinungsfreiheit und es gibt Verleumdung und Volksverhetzung. Und die Antwort liegt irgendwo dazwischen...

Aktualisierung:
Keine halbe Stunde, nachdem ich diesen Gedanken formuliert habe, lese ich, dass eine grosse Tageszeitung aus Teheran einen Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb plant, um die angebliche Meinungsfreiheit des Westens zu testen. Krass auf der einen, konsequent auf der anderen Seite.

Gute Kommentare zu dieser absurden Abkündigung gibt es in der taz und in der Zeit.



Mehr zu dem Ganzen Theater gibt´s beim freiburger online-Magazin fudder.de, denen habe ich heute ein Interview gegeben, in dem ich mich ausführlich zu der ganzen Sache und meiner Sicht der Dinge geäußert habe.

Aber alle, die denken, ich sei hier mitten drin im Epizentrum der brandschatzenden Islamisten, muss ich leider enttäuschen: Es ist ruhig, friedlich, noch gibt es Tuborg-Bier im Alkoholladen, zumindest habe ich es gestern noch im Regal gesehen. (Wobei mein Kollege heute meinte, man solle die Leute lieber im Glauben lassen, hier sei Rambazamba ohne Ende, draussen tobe der Mob, wir hätten Polizeischutz und riskieren täglich gesteinigt zu werden. Das gibt einem das Image eines furchtlosen Haudegen, der mittendrin im Geschehen ist, meinte er...)

Ramallah und die gesamte Westbank ist ruhig, gestern wurden lediglich in Bethlehem einige dänische Flaggen verbrannt. Im Gaza-Streifen sieht es schon anders aus, aber Gaza ist auch in allen Dingen extremer. Extrem überbevölkert, extrem arm, extrem radikal und extrem gewalttätig. Allerdings waren es auch dort Al-Aksa-Brigaden, die das europäische Kulturzentrum, die belgische Botschaft und das deutsche Vertretungsbüro angegriffen haben. Die Hamas macht einen auf vernünftige und staatstragende Partei und hat ihre Milizen im Griff, scheint es.

Aktualisierung:
Ein Hamas-Sprecher im Gazastreifen hat derweil ausländische Journalisten eingeladen und ihnen versichert, dass ihr Aufenthalt und der ihrer Landsleute in den palästinensischen Gebieten gesichert sei. Man beschuldige nicht sie, sondern ihre Regierungen. Nachdem Fatah-Aktivisten Drohungen gegen im Gazastreifen lebende Christen aussprachen, stellte die Hamas dort bewaffnete Kämpfer der Is-Eddin-Al-Qassam-Brigaden zum Schutz von Klöstern und Kirchen ab. (heise-online)


Die witzigste Annekdote zu dem ganzen Spektakel habe ich heute bei reuters gelesen:

Geschäftsmann aus Gaza bestellt 100 dänische Flaggen zum Verbrennen und verkauft sie für 15 $ das Stück

Yeah, that´s capitalism, baby!


Wer auch nur ansatzweise kulturwissenschaftlich interessiert ist und sich mal mit dem Bilderstreit auf einer analytischen Ebene beschäftigen will, dem möchte ich in aller Deutlichkeit den Essay "Im Rausch der Differenz" ans Herz legen. Manche Sätze muss man zweimal lesen, aber es werden sehr treffende Fragen aufgeworfen und die Absurdität des ganzen Heckmeck enttarnt...

Sonntag, Februar 5

Grundsatzerklärung zum Vorwurf der Einseitigkeit

Jetzt mal was Grundsätzliches:

Zu meinem Blog im Speziellen

In den letzter Zeit wurde ich von verschiedenen Seiten mit dem Vorwurf der Einseitigkeit in meiner Berichterstattung konfrontiert. Mal dezent, mal direkt – aber stets mit dem gleichen Einwand: Meine Schilderungen seien zu einseitig und eindeutig zu pro-palästinensisch, ich würde die israelische Sicht der Dinge nicht ausreichend oder auch gar nicht beleuchten.


Dazu kann ich nur sagen:

Ja. Natürlich ist meine Berichterstattung einseitig. Schließlich befinde ich mich auf der einen und nicht auf der anderen Seite. Und ich erhebe auch gar nicht den Anspruch hier eine objektive und ausgewogene Dokumentation des Nahostkonfliktes abzuliefern. Niemand sollte von mir erwarten in diesem Blog neutral und ausgewogen über Geschichte und Gegenwart des Konfliktes aufgeklärt zu werden. Das ist nicht meine Aufgabe, das sollen andere machen. Ich für meinen Teil schildere hier meine ganz persönlichen Eindrücke und Erlebnisse.


Wäre ich auf der anderen Seite, würde ich andere Dinge erleben, andere Geschichten hören und vielleicht mehr Verständnis für die israelische Position in diesem Konflikt haben. Aber ich habe mich - bedingt durch meine Vorgeschichte und meine Interessensschwerpunkte - dazu entschlossen, mein Praktikum und meine Forschungsarbeiten in Palästina und nicht in Israel zu machen.


Und somit erlebe ich hier den palästinensischen Alltag, höre jeden Tag die Geschichten der Menschen hier und werde logischerweise dadurch geprägt und in meiner – zugegebenermaßen eher pro-palästinensischen – Haltung bestätigt. Und ich schildere meine Erlebnisse so, wie ich sie erlebe und das ist nun mal die palästinensische Situation. Das heißt jedoch nicht, dass ich mich zum Sprachrohr für einseitige Propaganda machen lasse, denn trotz aller Sympathie bewahre ich mir eine kritische Distanz, was in meinen Schilderungen doch hoffentlich auch immer wieder zur Sprache kommt. Denn das Schicksal Palästinenser auf eine reine Opferrolle zu reduzieren ist ebenso unsinnig wie nutzlos. Außerdem haben die Palästinenser, indem sie den Hass schürten und auf die Besatzung mit Terror gegen die israelische Zivilbevölkerung antworteten, ihr an sich gerechtfertigtes Anliegen – dem Streben nach Unabhängigkeit – ziemlich diskreditiert und sich so einige Sympathien (auch meinerseits) versaut.


Wenn ich dennoch Verständnis für den Kampf der Palästinenser nach Unabhängigkeit aufbringe, heißt dass nicht, dass ich ein Antizionist (Theodor Herzl war übrigens von Anfang an für eine Zwei-Staaten-Lösung) oder gar ein Antisemit bin. Ich habe nicht das geringste Problem mit der Existenz des Staates Israel, den Israelis als Menschen oder der jüdischen Religion als solcher. Antisemitismus und Kritik an Israel werden ja insgesamt gerne – teilweise, so scheint es mir, sogar absichtlich - in den selben Topf geschmissen.


Womit ich allerdings ein Problem habe, ist die israelische Regierungspolitik, die seit nunmehr 39 Jahren eine brutale militärische Besatzung der palästinensischen Gebiete aufrechterhält, eine aggressive und rücksichtslose Kolonialisierung dieser Gebiete vorantreibt und in ihrer Gesetzgebung in manchen Punkten eher an ein rassistisches Apartheidsregime denn an eine Demokratie erinnert. Eine Regierungspolitik, die sich einen Dreck um internationales Recht, die Genfer Konventionen oder UN-Resolutionen schert.


Zur Kritik an Israel im Allgemeinen


"As a Jew, I feel ashamed of what is committed in the name of my religion"

(James Wolfensohn - ehemaliger Direktor der Weltbank)


Wer ein solches Unrecht nicht beim Namen nennt, sondern aus einer falsch verstandenen Rücksichtsnahme verschweigt, wer Kriegsverbrechen, die vom jüdischen Staat begangen werden, aus einem (typisch deutschen?) Schuldkomplex heraus billigt, der sollte sich lieber gar nicht zu diesem Thema äußern und – wenn es denn nicht schon zu spät ist – besser auch nicht damit beschäftigen.


Und wer glaubt, als selbsternannter Linker Israel bedingungslos unterstützen zu müssen, das Vorgehen der israelischen Armee als notwenige Begleiterscheinung zur Erhaltung und Verteidigung des jüdischen Staates ansieht und damit der Besatzungs- und Besiedelungspolitik einen Freibrief ausstellt, dem empfehle ich, einfach mal hierher zu kommen und sich anzuschauen, was eigentlich Alltag unter Besatzung bedeutet.


Nicht das mich hier irgendjemand falsch versteht: Ich bin entschieden gegen jegliche Schlussstrich-Debatte. Die deutsche Geschichte darf niemals vergessen, vernachlässigt oder klein geredet oder gar mit den Verbrechen anderer Nationen aufgerechnet und dadurch relativiert werden.


Die Tatsache, dass ich mir der deutschen Geschichte und der daraus resultierenden Verantwortung (auch und gerade für meine Generation) bewusst bin heißt jedoch nicht, dass ich Israel nicht kritisieren darf, wenn ich es für angebracht halte. Überzeugter Antifaschist zu sein heißt eben nicht bedingungsloser Philosemit zu sein.


Und die Tatsache, dass ich in meinen Berichten ein so starkes Verständnis für die Situation der Palästinenser aufbringe, heißt nicht, dass ich ein Terroristensympathisant bin. Ich kann jeden nur bitten, sich einmal zu überlegen, was er (oder sie) tun würde, wenn er unter Besatzung leben würde.


Wenn einem der tägliche Weg zur Schule, Uni, Arbeit, zu den Feldern, zum Krankenhaus, zu was auch immer, durch Soldaten der Besatzungsmacht erschwert oder gar ganz versperrt wird.

Wenn landwirtschaftlich genutzte Flächen, welche man seit Generationen bewirtschaftet, entschädigungslos enteignet werden.

Wenn man ein (unfreiwilliger) Bürger zweiter Klasse ist und einem elementare Rechte verwehrt bleiben.

Wenn täglich Leute verhaftet und ohne Anklage auf unbestimmte Zeit weggesperrt werden.

Wenn Kinder beim Spielen erschossen werden, weil sie sich zu nahe an einer Siedlerstraße oder der Mauer aufhielten.

Wenn es einem verboten ist, sich frei zu bewegen und ganze Städte wochenlang unter Ausgangssperre gestellt werden.

Wenn man von fanatischen Siedlern, die einem die fruchtbarsten Flecken Land entwenden, bedroht, beschossen und an der Ernte gehindert wird.

Wenn es einem untersagt ist, Brunnen zu bohren, die tiefer als 75 Meter sind und man stattdessen sein eigenes Wasser der Besatzungsmacht abkaufen muss.

Wenn Häuser beschlagnahmt werden, um militärische Stützpunkte einzurichten.

Wenn, wie beispielsweise in Rafah geschehen, dicht bebaute Wohngebiete plattgewalzt werden, um „Sicherheitszonen“ einzurichten.

Was soll man machen? Die Situation, so ungerecht sie auch ist, akzeptieren? Schweigend klein bei geben? Sein Land verlassen und damit die ethnische Säuberung des Landes auch noch unterstützen?

Ehud Barak, ehemaliger israelischer Ministerpräsident, war ehrlich genug, in einem Interview mit Gideon Levy, dem Chefredakteur der israelischen Tageszeitung Ha´aretz auf diese Frage zu antworten: „Ich würde mich einer Terrororganisation anschließen.“


Ich möchte mit meiner Argumentation keinesfalls barbarische Attentate auf Zivilisten rechtfertigen. Ich möchte nur, dass sich jeder, der sich mit dem Konflikt beschäftigt, einmal klar macht, was hier Ursache und was Wirkung ist. Jeglichen palästinensischen Widerstand als „Terrorismus“ abzustempeln, schafft zwar ein klares Gut-Böse-Schema, blendet aber die wahren Beweggründe der „Terroristen“ aus. Niemand sprengt sich und/oder andere in die Luft, weil er ein böser Mensch ist, sondern wegen der Umstände, die ihn dazu bewegen. Weil er in dem fatalen Glauben handelt, mit seinem Tod mehr bewirken zu können als mit seinem Leben.


Zur Sicherheit noch einmal: Ich verurteile Anschläge auf Zivilisten zutiefst.


Selbstverständlich weiß ich auch, dass es auch auf israelischer Seite friedenswillige und vernünftige Stimmen gibt und dass längst nicht alle Israelis hinter den imperialistischen Groß-Israel-Plänen der national-religiös motivierten Polit-Elite stehen. Da gibt es die schon erwähnte Initiative „Breaking the Silence“, es gibt „Gush Shalom“, „Checkpoint Watch“, „Jewish voice for peace“, „Al Haq“ und unzählige mehr. Und ich freue mich darauf in den nächsten Wochen und Monaten auch Israel zu bereisen und sowohl das Land, als auch seine Bewohner näher kennen zu lernen. Auch das habe ich mehrmals erwähnt und ich kann es nur wiederholen.


Fazit

Einen Frieden kann und wird es nur geben, wenn es ein gerechter Frieden ist. Solange der Stärkere in diesem Konflikt dem Schwächeren die Bedingungen, die – logischerweise – seine eigenen Interessen schützen, diktiert, wird es Widerstand (in welcher Form auch immer) geben. Kein Palästinenser, der auch nur halbwegs bei Trost ist, hat etwas gegen eine Zwei-Staaten-Lösung einzuwenden. Die Menschen hier sind – ebenso wie die Israelis – kriegsmüde, sie wollen einfach nur in Ruhe ihr Leben leben. In Frieden und Seite an Seite mit Israel als Nachbarn.


Von den Palästinensern, insbesondere von der neuen Regierung wird in letzter Zeit immer wieder verlangt, sie müsse auf Gewalt als Mittel der Politik verzichten und Israel in den Grenzen von 1967 anerkennen. Fragt eigentlich irgendjemand ob Israel nicht vielleicht auf Gewalt als Mittel der Politik verzichten und einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 anerkennen möchte?



Abschließend möchte ich betonen, dass ich mich über jede Mail, egal welchen Inhalts, freue und gerne bereit bin unterschiedliche Sichtweisen zu diskutieren. Aber irgendwann muss auch mal gut sein, denn dieser Konflikt (der in seiner Natur eigentlich ein politischer, nämlich der Kampf einer Unabhängigkeitsbewegung gegen eine Kolonialmacht, ist) ist viel zu sehr emotional und religiös aufgeladen, als dass man noch eine wirklich rationale Debatte darüber führen könnte…


In diesem Sinne: Ma´a salami! Shalom! Frieden sei mit euch!


Literaturtipps

Wer sich tiefer gehend für den HickHack um Israel-Kritik und die stets über diesem Thema schwebende Antisemitismuskeule interessiert, dem seien fürs Erste diese Essays ans Herz gelegt:

Robert Fisk, Redakteur bei der britischen Zeitung The Independent: „Wenn Journalisten sich weigern, die Wahrheit über Israel zu sagen“

Michel Warschawski, Leiter des Alternative Information Center in Jerusalem: „Antizionismus ist nicht Antisemitismus“

Peter Ullrich, deutscher Historiker: „Bedingungen und Grenzen der (linken) Solidaritaet mit Israel/Palaestina“

Geoffrey Aronson, Autor bei der Ha'aretz: "It's the occupation, stupid!"

taz-Interview mit Gideon Levy: "Jeder sollte Israel kritisieren"
Der Artikel ist im online-Archiv leider nur gegen Gebuehr zu lesen, also entweder im Altpapier oder in der Bibliothek nachschauen (taz vom 1.11.2005, Seite 4).


Und wer grundlegende, objektive und neutrale Informationen über den Nahostkonflikt sucht, dem empfehle ich ein Besuch auf israelipalestinianprocon.org oder, wer es lieber auf Papier mag, die Lektüre des Standardwerkes Friedrich Schreiber & Michael Wollfsohn: NAHOST – Geschichte und Struktur des Konflikts