Dienstag, März 14

Militäraktion in Jericho

Ramallah, 14. März 2006

Am heutigen jüdischen Feiertag des Purim-Festes sind israelische Truppen früh morgens in die autonome Stadt Jericho eingerückt, haben das Gefängnis der Stadt mit 20 Panzern umstellt um den dort inhaftierten Ahmed Saadat und vier weiter Häftlinge in ein israelisches Gefängniss zu verlegen.


Saadat ist der Chef der marxistisch orientierten PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) und war der Planer der Ermordung des israelischen Tourismusministers Rehavam Ze'evi durch ein Kommando der PFLP in einem Hotel in Ost-Jerusalem 2001.

Der Hardliner Ze´evi, der nur wenige Tage vor seiner Ermordung zum Minister ernannt wurde, hatte sich stets mit markigen Sprüchen wie "Die Araber sind das Krebsgeschwür im Volkskörper Israels!" hervorgehoben. (Was die von Ze´evi gegründete Rechtspartei fordert, kann jeder auf deren Internetseite nachlesen...) Die Ermordung Ze'evis wurde von der PFLP als Vergeltung für die gezielte Tötung ihres Anführers Abu Ali Mustafa angesehen.

Saadat und die vier anderen Aktivisten wurden auf Druck Israels von der PNA Anfang 2002 verhaftet und in Jericho inhaftiert. Sie standen unter Beobachtung britischer und US-amerikanischer Menschenrechtsorganisationen, die darüber wachen sollten, dass die Häftlinge nicht misshandelt werden. Die Internationalen wurden heute früh vor der geplanten Militäraktion darüber informiert und haben das Gefängnis verlassen, was den Weg für die Militäraktion frei gab.

Bei Schießereien gab es laut auf palästinensischer Seite 2 Tote und 8 Verletzte, von israelischen Casualties ist nichts bekannt.

Die versuchte "Verlegung" der politischen Gefangenen in ein israelisches Gefängnis erfolgt just zu dem Zeitpunkt, an dem innerhalb der PA darüber diskutiert wird Saadat eventuell vorzeitig zu entlassen. Bei den Wahlen in den palästinensischen Gebieten am 25. Januar wurde Saadat erstmalig ins Parlament gewählt.

Wegen dieser Aktion ist die Lage heute leicht angespannt, das israelische Militär hat flying Checkpoints rund um Ramallah erichtet, auf der Al-Irsal Street im Zentrum Ramallahs wurden gegen Mittag APCs (Armored Personal Carriers - gepanzerte Truppentransporter) gesehen, auf den Hügeln rings um die Stadt sind Panzer aufgefahren.

Momentan finden in Ramallah und in anderen Städten der Westbank Demonstrationen gegen die Militäraktion statt, hoffen wir, das es ruhig bleibt...


UPDATE: Im Radio wird gerade gemeldet, die Panzer hätten Ramallah eingekreist.


Nachtrag um 19 Uhr: Die PFLP-Demo im Stadtzentrum bot alles, was eine zünftige linksradikale Demo ausmacht: Menschenmassen, rote Fahnen, flammende Reden durch ein Megaphon, brennende Autoreifen und hin und wieder eine Salve Luftschüsse aus der Kalaschnikov.




An den Checkpoints war alles in erhöhter Alarmbereitschaft, noch strengere Kontrollen als sonst, Armeejeeps auch auf der palästinensischen Seite der Mauer.

Laut Al-Jazeera und BBC hat die israelisch Armee das Gefängniss mit Panzern und Helikoptern beschossen. 182 Gefangene und Wärter haben sich ergeben.


Ahmed Saadat und 16 weitere Häftlinge weigern sich, das Gefängnis zu verlassen und sich zu ergeben. In einem telefonischem Interview erklärte Saadat, er werde sich nicht ergeben, sondern lieber als Märtyrer sterben.

Die israelische Armee hat den Zugang zum Krankenhaus von Jericho blockiert und lässt keine Verwundeten hindurch. Bulldozer haben damit begonnen, die Trümmer des Gefängnisses einzureißen.


Als Reaktion auf die Militäraktion haben bewaffnete Gruppen im Gaza-Streifen und in Ramallah das British Council angegriffen und in Brand gesetzt. Auch eine britische Bank in Ramallah wurde angegriffen und komplett demoliert. Palästinensische Sicherheitskräfte haben die Angriffe gestoppt und das Innenministerium hat den Polizisten Schießbefehl erteilt, um ausländische Einrichtungen gegen Angreifer zu schützen.

Außerdem wurden im Gaza-Streifen mindestens vier Ausländer entführt. In einer Rundmail an alle Ausländer in den palästinensischen Gebieten wird vor der Gefahr weiterer Entführungen gewarnt und von allen Bewegungen innerhalb der West Bank und des Gaza-Streifens dringend abgeraten.

Gerade eben habe ich von meinem deutschen Mitbewohner einen Anruf bekommen und erfahren, das auch in Ramallah Ausländer entführt worden sind und es wurde mir DRINGENDS davon abgeraten mit dem Taxi nach Hause zu fahren. Jetzt mal gucken was ich mache...



Mehr zum Thema:

http://www.haaretz.com/hasen/spages/694059.html

http://www.haaretz.com/hasen/spages/694068.html

http://www.juedische.at/TCgi/_v2/TCgi.cgi?target=home&Param_Kat=3&Param_RB=5&Param_Red=5181

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,405868,00.html

http://aljazeera.com/me.asp?service_ID=10872

4 Comments:

Anonymous Anonym said...

Nun, ich glaube kaum, dass der Begriff "marxistisch" in Verbindung mit der PFLP gerechtfertigt ist.

Aber ganz sicher gehören auch zu einer "zünftigen linksradikalen" Demo keine Schüsse, auch keine in die Luft. Das scheint mir dann doch eine allzu locker-flapsige Sprache für die Gewalt und Gegengewalt.

Mag sein, dass man härer im nehmen wird, wenn man in Israel/Palästina ist. Aber von hier aus wirkt das ganz und gar nicht lustig.

Grüße, Frank

Dienstag, März 14, 2006 10:50:00 PM  
Blogger Asmus said...

Tach Frank!

Habe gerade deinen Kommentar gelesen und wollte kurz drauf antworten:

Inwieweit die PFLP wirklich "marxistisch" ist, kann ich nicht genau beurteilen, jedenfalls geben sie sich marxistisch und haben in ihrem Programm einige durchaus marxistische Forderungen, wie Verstaatlichung der Wirtschaft etc.

auf http://www.pflp.net praesentiert sich die PFLP, allerdings nur auf arabisch

auf http://www.fightbacknews.org/2003-3-summer/pflp.htm findest du ein Interview mit Saadat


Und das mit den Schuessen gestern auf der "zuenftigen linksradikalen Demo" war natuerlich nur fuer die Situation hier integraler Bestandteil.
Dass solch ein martialisches und militaristisches Gehabe in der BRD oder sonst wo nicht zum Standardprogramm gehoert ist klar...
Es gefaellt mir auch nicht, aber so ist das nunmal hier. Wer sich Gehoer verschaffen will, der macht das per Kalaschnikov.

Mittwoch, März 15, 2006 11:35:00 AM  
Anonymous Anonym said...

Ja, die Lage in Palästina ist so, wie du es beschreibst. Aber du kennst ja die Debatten in Deutschland - und wie schnell Leute (auch Linke) mit dem Antisemitismus-Vorwurf reagieren. Ich wolte nur darauf hinweisen, dass man Beiträge aus Palästina immer mit Blick auf die Debatten in deutschland schreiben muss und beachten, wie das Geschriebene hier ankommt. Ich finde dein Blog gut (damit kein Missverständnis aufkommt). Aber als ich damals das Tagebuch aus Palästina von Paul G. (den du ja kennst) im Web veröffentlicht habe, da kamen eben aufgrund von Pauls manchmal lockerer Schreibe, genau solche Reaktionen.

Wie dem auch sei. Ich werde dein Blog auf jeden Fall weiterempfehlen und auf meinem Blog verlinken. Du schreibst und beobachtest sehr gut und dein Humor ist wirklich köstlich.

Grüße, Frank

Mittwoch, März 15, 2006 2:41:00 PM  
Blogger Unknown said...

Hi
Fliege nächsten Samstag für 4 Monate nach Palästina und wollte Dich mal fragen, wo und wie du in Ramallah gewohnt hast, bzw. ob du mir einen Tip bezüglich Zimmersuche vor Ort geben kannst!
Gruß Simon

simonkoehl(at)gmail(dot)com

Freitag, September 21, 2007 12:09:00 PM  

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