Mittwoch, März 15

Die Mauern von Jericho sind eingestürzt...

Ramallah, 15. März

Gestern abend bin ich dann doch noch los, um mit dem Sammeltaxi nach Hause zu fahren. Wachsamen Blickes und schnellen Schrittes durch die Straßen gelaufen. Überall standen Gruppen von PFLP-Anhängern mit den rot-weißen Tüchern, die Geschäfte waren allesamt geschlossen, da gestern Nachmittag ein Generalstreik ausgerufen wurde, an dem sich heute auch, na ich würd ma sagen 98 % der Läden beteiligen.

Im Taxi habe ich mich sehr nett mit den Mitfahrern unterhalten, von Entführungen in Ramallah hatten sie nichts gehört, die Geschichte hat sich aber heute im Laufe des Tages auch als Ente entpuppt. Alle haben mir versichert, dass Ausländer in Ramallah sicher seien, da alle wüssten, dass die Ausländer, die hier leben und arbeiten Freunde des palästinensischen Volkes seien.

Na hoffentlich wissen das auch wirklich alle...


Wahlplakat der PFLP


Aber man muss die Sache mal ganz nüchtern betrachten: Es gibt ca. 3,5 Millionen Palästinenser. Ein Dutzend von denen hält es für angebracht, als Reaktion auf die israelische Aggression Ausländer zu entführen. Die Wahrscheinlichkeit das einer von diesen Vollspacken mit mir im Taxi sitzt oder mir auf dem Weg dorthin begegnet ist also relativ gering.

Heute ist die Lage wieder relativ ruhig, vor allen offiziellen Einrichtungen und an den zentralen Plätzen in Ramallah lungern Sicherheitskräfte rum. Fünf der neun Ausländer, die gestern entführt worden sind, wurden schon gestern abend wieder freigelassen. Die anderen vier werden im Laufe des Tages zurück erwartet. Eine der Geiseln, ein US-amerikanischer Lehrer, der in Dschenin arbeitet, wurde gestern vor TV-Kameras gezerrt und musste anti-amerikanische Parolen vorlesen. Dann haben sie ihn wieder freigelassen. Von einer wirklich akuten Gefährdung für Leib und Leben kann also nicht die Rede sein.

Ganz anders sieht die politische Lage in Israel und Palästina aus:

Die Hamas hat angekündigt, als Reaktion auf die Belagerung des Gefängnisses israelische Soldaten zu entführen, um sie gegen inhaftierte Palästinenser freizupressen.
(Nur zur Information: Anzahl von Palästinensern in israelischen Knästen: 9184 Anzahl von Israelis in palästinensischen Knästen: null Quelle)

Die PFLP hat angekündigt "Israel werde einen hohen Preis für diese Aktion bezahlen" und sie werden "den Boden unter den Füßen der Israelis in Brand zu setzen".

Die Abu Ali Mustafa Brigaden, der bewaffnete Arm der PFLP ließ verlauten, dass falls ihrem nun von den Israelis gefangengehaltenem Generalsekretär Ahmed Saadat irgendetwas zustoßen sollte, würden sie in der selben Art und Weise zurückschlagen, wie sie es nach der Ermordung von Saadats Vorgänger getan haben. Damals, am 21. Oktober 2001, hatte ein Kommando der PFLP den israelischen Tourismusminister Rehavam Zeevi hingerichtet (siehe voheriger Eintrag).

Eins muss man der PFLP lassen:
Sie hat die Plakate mit dem coolsten Design...



Gleichzeitig kam vom israelischen Verteidigungsminister Shaul Mofaz die unverblümte Aussage, die ganze Aktion der Belagerung und Zerstörung des Gefängnisses in Jericho und die Festnahme der sechs Häftlinge sei bereits seit einer Woche geplant worden und mit den Engländern und Amerikanern abgesprochen gewesen. Was die Wut der Palästinenser auf diese und andere Ausländer nicht gerade mindern dürfte...

Außerdem telefonierte er heute mit dem Chef der israelischen Streitkräfte, Dan Halutz und mit Avi Diskin, dem Leiter des israelischen Sicherheitsdienstes Shabak und gratulierte ihnen zu "der erfolgreichen Operation, die keinerlei Verluste unter unseren Soldaten gefordert hat". Sehr zynisch angesichts der Toten und Verletzten Häftlingen und Gefängniswärter, die mit dem Attentat, das Ahmed Saadat geplant haben soll ja nun wirklich nichts am Hut hatten. Aber es waren ja nur Palästinser, alles halb so wild!



Der einzige Gewinner der ganzen Aktion gestern ist Ehud Olmert, amtierender Ministerpräsident Israels. Nachdem er sich in letzter Zeit immer wieder anhören musste, er würde gegenüber den Palästinensern eine zu softe Linie fahren, so sind nach der gestrigen Aktion seine Umfragewerte prompt angestiegen und alle Partein unterstützen ihn.

Man merkt eben, dass in zwei Wochen Wahlen sind. Schade nur, dass für so eine Kadima-Wahlkampagne 3 Menschen sterben mussten, 25 verletzt wurden (5 von ihnen schwer) und die gesamte Region im erneuten Chaos zu versinken droht.

Aber ein Flächenbrand in den palästinensischen Gebieten (oder vielleicht ein oder zwei gerade noch verhinderte Attentate) kommt den Politikern der israelischen Rechten (und rechts sind bis auf Teile der Arbeitspartei alle Parteien) nur gelegen: Sie können die Angst in der eigenen Bevölkerung schüren, werden so wiedergewählt und können außerdem gegenüber der internationalen Gemeinschaft mit Fug und Recht behaupten, es gäbe ja gar keinen Verhandlungspartner für einen Frieden, deshalb sei man gezwungen unilaterale Schritte zu unternehmen. Nach dem Motto: "Seht her, Hamas-Regierung, Chaos, Gewalt, Terror - wir können ja gar nicht anders, als mit voller Härte zuzuschlagen!"

Dass man mit jeder Hinrichtung, mit jeder Razzia, mit jedem Luftangriff, oder, wie es die Luftwaffe seit neuestem Nacht für Nacht über dem Gaza-Streifen praktiziert, mit sonic booms (Knall nach Durchbrechen der Schallmauer. Angewandt, um die Bevölkerung des Gaza-Streifens wach zu halten - innovative Methode der kollektiven Bestrafung!) mehr Feinde schafft und neue Terroristen heranzuchtet, das haben sie auch nach 38 Jahren der Besatzung noch nicht kapiert. Aber wahrscheinlich haben sie es schon kapiert, machen aber trotzdem weiter, schließlich bringt Angst und Unsicherheit Wählerstimmen und schaftt unzählige Arbeitsplätze im Sicherheitsbereich.



Eine Verurteilung der Militäraktion gestern in Jericho durch den UN-Sicherheitsrat wird aller Vorraussicht nach am Veto der USA scheitern. Womit mal wieder bewiesen wäre, dass sich Israel alles erlauben kann, da der große Bruder stets seine schützende Hand über es hält.

Insofern habe ich durchaus Verständnis für die Aktionen der Palästinenser, auch wenn ich selbst dadurch gefährdet bin. (Nein, das ist kein Stockholm-Syndrom...) Was sollen sie denn machen, um Druck auszuüben? Sie haben keine Armee, keine Panzer, keine Kampfjets und Helikopter mit denen sie der israelischen Armee auf gleicher Augenhöhe begegnen könnten. Sie können nicht einfach mit Bulldozern anrücken, ein israelisches Gefängnis in die Luft jagen und ihre Gefangenen befreien. Das Traurige ist nur, dass egal was sie machen, ob sie jetzt Soldaten entführen, Ausländer kidnappen, oder sonstirgendwas machen, sie werden in diesem Konflikt immer den kürzeren ziehen, immer untergebuttert werden und in der Weltöffentlichkeit immer als die Bösen dastehen.

Dabei ist das eigentliche Ziel aller Palästinenser, nämlich der Kampf um nationale Unabhängigkeit, um ein Ende der Besatzung und Besiedelung ihres Landes durch Israel absolut legitim. Nur leider fehlt es an Methoden und Möglichkeiten, diese Absichten der Weltöffentlichkeit zu vermitteln und zu erklären.

Ich sehe schon, ich werde gebraucht! Ich geh jetzt mal rüber zum Präsidentenbüro und biete meine Dienste als Berater für Öffentlichkeitsarbeit an. Als zukünftiger Minister für International Public Relations krieg ich dann bestimmt auch so einen tollen schwarzen Schreibtisch mit integriertem Füllfederhalterhalter, wie ihn der Informationsminister hat...




Links:

Interview mit Ahmed Saadat

Panikmache und Wahlkampf in Israel

International Middle East Media Centre

Ha´aretz Artikel zum US Veto

Guardian Artikel über die sonic booms