Sonntag, April 9

Der Wahnsinn wohnt in Hebron

Ramallah, 25. März 2006

Weil man, wenn man den ganzen Wahnsinn der Besatzung auch nur annähernd verstehen will Hebron gesehen haben muss, brachen Sonja und ich an einem sonnigen Samstag Vormittag auf, um diese zweigeteilte Stadt zu besuchen. Diesmal ging es mit einem arabischen Taxi direkt von Ramallah nach H1, den palästinensischen Teil der Stadt. H2, das ist der Stadtteil unter israelischer Kontrolle, hatte ich einige Wochen zuvor schon mit "breaking the silence" besucht.

(Kann man hier nachlesen...)

Das Sammeltaxi brauchte Stunden, denn es ging wieder im großen Bogen um die annektierten Siedlungsblöcke von Ma´ale Adumin östlich von Jerusalem außenrum, an Bethlehem vorbei, in den südlichen Teil der West Bank.

Hier ist es zwar auch hügelig, es liegt aber insgesamt tiefer als Ramallah, statt Olivenhainen dominieren hier Weinberge die Landschaft. Vorbei an Siedlungen und arabischen Dörfern, die oft in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander liegen, bis zu einer Abzweigung, an welcher ein pittoresqer Wachturm über den Verkehr wacht.

Mir ist zwar bis heute nicht klar, was acht Kameras sehen können, was nicht auch zwei oder drei Kameras könnten, aber solange es "due to security measures" ist, wundert mich in diesem paranoiden Land gar nichts mehr.

In Hebron sind wir nach wenigen Minuten an einen der innerstädtischen Checkpoints am Eingang zur Altstadt gelangt, wo wir drei Mitarbeiter eines ökomenischen Friedensdienstes begegnet sind. Die drei arbeiten für eine christliche Organisation als neutrale Beobachter in Hebron, ihre Aufgabe ist es durch ihre Präsenz Übergriffe der Siedler zu verhindern oder doch zumindest zu protokollieren.

So begleiten sie beispielsweise palästinensische Kinder auf ihrem Schulweg, da diese dabei wiederholt von Siedlern attackiert wurden.

Wir warteten an einem der Stahltore darauf, dass die Siedler und ihre Militäreskorte sich auf den Weg zum Sabbat-Gebet in die Synagoge aufmachen. Denn statt - was der direkte und unumständlichere Weg wäre - direkt die große breite Straße im israelischen Teil der Stadt zur Synagoge zu laufen, lassen es sich die Siedler nicht nehmen, jeden Samstag durch die verwinkelten kleinen Gassen der arabischen Altstadt zur Synagoge zu latschen.

Dass für den Rest der Bevölkerung solange eine Ausgangssperre verhängt wird versteht sich von selbst.

Aber die Siedler kamen und kamen nicht, und so entschlossen wir uns nicht länger auf ihre Prozession zu warten, sondern einfach selbst durch die Altstadt in Richtung Synagoge und Moschee zu laufen. Beide Gotteshäuser befinden sich nämlich ironischerweise im selben Gebäude, da beide Religionen den dort beerdigten Stammvater Abraham (aka Ibrahim) verehren.

Die Altstadt von Hebron ist schön, nur etwas heruntergekommen und viele der Geschäfte wurden aufgegeben, weil einfach nicht genügend Kunden in diesen Teil der Stadt kommen. Was es hingegen reichlich gibt sind hochgefährliche Terroristen (hier links im Bild). Zum Glück werden diese von den netten Herren in olivgrün (hier rechts im Bild) im Zaum gehalten.



Der Rest der Stadt ist nicht weniger von der absurden Situation gekennzeichnet: da der Gemüsemarkt während der zweiten Intifada dicht gemacht wurde, wurde er kurzerhand auf eine der Hauptstraßen verlegt. An vielen Gemäuern und Türen zeugen die Einschläge von Gewehrsalven von den Kämpfen der letzten Jahre.

Am zentralen Sammeltaxiabfahrplatz steht ein großes, relativ neues Gebäude komplett leer, die Spuren an der Fassade sprechen eine deutliche Sprache. Dem Schild nach zu urteilen, befand sich dort auch das Büro der palästinensischen Tageszeitung Al-Ayyam, die unter anderem Thema meiner Recherchen in den letzten drei Monaten war.



Bei einem kurzen Besuch in einer Moschee konnte ich mich dann noch davon überzeugen, das die allgegenwärtigen weißen Plastikstühle wirklich allgegenwärtig sind. Auf was haben die Palästinenser eigentlich gesessen bevor es diese praktischen abwasch- und stapelbaren Balkonmöbel gab?



In den israelisch kontrollierten Teil der Stadt sind wir nicht gegangen, davon haben uns die drei christlichen Friedensaktivisten dringenst abgeraten. Am Sabbat als Goy durch H2 zu laufen käme einer Kamikaze-Mission gleich.

Nicht einmal die Typen vom Christian Peacemaker Team, die sonst wirklich hart im nehmen sind und immer an vorderster Front dazwischen gehen, wenn es kracht, trauen sich am Samstag dort rüber. Beschimpft, bespuckt und mit Steinen beworfen zu werden ist eine Sache, aber viele der militanten Siedler tragen Waffen und scheuen sich auch nicht, diese einzusetzen.

Also fuhren wir mit Einbrechen der Dunkelheit ins ach-so-ruhige-ach-so-normale Ramallah zurück, wo die Siedler nur ringsherum in ihren Trutzburgen und nicht mitten in der Stadt wohnen.



Zahlen, Daten, Fakten und kurzer geschichtlicher Überblick über den Wahnsinn von Hebron gibt es in meinem Bericht vom 8. März.

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Hallo Asmus,
Ich lese Deine Berichte mit größtem Interesse. Verlinke auch immer wieder:
http://opablog.twoday.net/stories/1815322/
oder
http://opablog.twoday.net/stories/1798132/
Danke und Dir alles Gute!

Dienstag, April 11, 2006 12:37:00 AM  

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