Montag, Februar 13

Nablus - Stadt der Märtyrer und der Süßwaren

Samstag, 11. Februar 2006

Wieder mal ein Samstag, wieder mal ein freier Tag. Also wohin? Jerusalem? Nee, war ich schon. Ich will was neues sehen. Also ab nach Nablus. Trotz Reisewarnung der deutschen Botschaft, denn ich bin fest davon überzeugt, dass mein rudimentäres Arabisch allemal ausreicht, um meinen eventuellen Entführern klar zu machen, dass die deutsche Regierung keinen Cent für mich ausgeben würde…

Mal im Ernst: Letzte Woche wurde zwar ein Deutscher in Nablus entführt, aber nach einer Stunde wieder frei gelassen. Ich halte diese Panik für leicht übertrieben, von wegen: bloß nicht hin fahren! In Florida werden im Jahr statistisch gesehen mehr Touristen ausgeraubt, entführt oder auch gleich erschossen als in Nablus. Anscheinend haben die zahlreichen Statistikseminare, wenn schon keine Scheine, so doch zumindest ihre Wirkung hinterlassen…

Also ab ins Sammeltaxi, diesmal einen uralten Benz, der landesüblich mit Teppichen, Bommelbordüren und Tissuespender ausgestattet und mit 8 Personen beladen ist, nach Nablus. Wir sind gerade durch Birzeit durch, da sehen wir schon den Stau. Der Checkpoint nördlich von Birzeit ist völlig überlaufen. Nach einer halben Stunde Wartezeit mit stop and go und intensiver Nutzung der Hupe durch den Fahrer sind wir endlich dran. Ein Soldat sammelt die Pässe ein und fragt mich die altbekannten Fragen.

Die lernen die wahrscheinlich in der Grundausbildung auswendig, denn es sind wirklich immer exakt die gleichen Fragen. Ein anderer Soldat sitzt in einem Kabuff und lehnt sich mit den Unterarmen auf ein Kissen. Wie ein Ripp-Shirt tragender Neuköllner Rentner an seinem Fenster. Mit dem Unterschied, dass er Uniform trägt und zudem seine M16 auf die vorbeifahrenden Autos gerichtet hält. Nur für den Fall der Fälle. Könnte ja sein, dass man zwischendurch mal jemanden erschießen muss…

Eigentlich könnte man auch eine kleine Straße als Abkürzung am Checkpoint vorbei nehmen, aber die ist durch eine massive Stahlkonstruktion versperrt und ein gepanzerter Hummer nebst Besatzung steht davor und wacht darüber, dass niemand aus der Reihe tanzt. Eine andere beliebte und weit verbreitete Methode ist es auch, road blocks zu errichten. Da werden dann ein paar große Felsbrocken mit Hilfe eines Caterpillars auf die Straße geschafft, noch ein paar Schaufelladungen Erde rundherum und fertig ist die unpassierbare Straße, was die Menschen dann zwingt, weite Umwege über israelisch kontrollierte Straßen zu nehmen.

Nachdem wir die eingezäunte Siedlerstraße überquert haben, geht es weiter durch die wunderschöne Landschaft. Terrassen, Olivenhaine, Hügel, hin und wieder ein verschlafenes Dorf oder eine umzäunte Siedlung. Und ab und zu ein Militärjeep auf Patrouille. Über der ganzen Szenerie ein klarer blauer Himmel, bestückt mit einer bereits ziemlich kraftvollen Februarsonne.

Kurz vor Nablus dann ein weiterer Checkpoint. Aussteigen, zu Fuß durchgehen und wieder ins Taxi. Keine hundert Metern entfernt sieht man durch einen stacheldrahtgekrönten Zaun eine Hand voll Siedler auf ihre Shuttle-Busse warten. Ein Soldat lehnt gelangweilt mit einem Tränengasgranatenwerfer an den Füßen eines Wachturmes.

Bei der Fahrt in das Zentrum von Nablus fällt mir ein großer Gebäudekomplex auf, der komplett eingestürzt ist. „Das war mal eine Polizeistation und ein Gefängnis“, erklärt mir ein Mitfahrer, „wurde 2004 von F-16 Kampfjets bombardiert…“

Nablus liegt in einem Tal eingeklemmt zwischen zwei Berghängen und wächst unaufhaltbar die Hänge hinauf.


Immerhin leben hier mittlerweile gut 100.000 Menschen. Darunter 500 Samariter. Das ist eine jüdische Sekte, die sich irgendwann mal vom Mainstream-Judentum abgespalten hat. Die Samariter genießen Minderheitenschutz, haben einen Quotensitz im Stadtrat von Nablus und im palästinensischen Parlament und sind (im Gegensatz zu den Siedlern, haha!) anscheinend ganz gut integriert.
Das witzigste ist jedoch: Sie haben sich entschlossen, palästinensische Staatsbürgerschaft anzunehmen, denn sie erkennen den Staat Israel nicht an, weil man mit der Staatsgründung nicht bis zur Rückkehr des Messias gewartet hat… Klingt logisch!

Das Stadtbild dominieren alte Steinhäuser mit Holzbalkonen, mittendrin steht ein 8-stöckiges, spiegelverglastes Monstrum von einem Neubau. Die Altstadt hat enge und verwinkelte, größtenteils überdachte Gassen. Eine typische arabische Medina. Der Souk ist wie üblich nach Branchen aufgeteilt, überall wetteifern die Händler im lautstarken Anpreisen ihrer Waren.


Im Unterschied zu anderen arabischen Städten gibt es aber nur wirkliche Gebrauchsgegenstände und keinen Ramsch, keine Souvenirs und auch keine schleimigen Touristenabzocker. Denn hier gibt es keine Touristen. Laut Reiseführer gibt es in Nablus nicht einmal ein Hotel. Früher gab es mal welche, aber seit dem Ausbruch der ersten Intifada ist der Tourismus in Palästina gegen Null gegangen.
Während des ganzen Tages habe ich exakt 3 Westler gesehen – ein Kamerateam. Umso begeisterter von meiner Anwesenheit sind die Kinder, die alle ihre Englischkenntnisse ausprobieren und fotografiert werden wollen.




Wenn schon keine Hotels und Touristen, so gibt es in Nablus jedoch reichlich:

- Zwergwüchsige (habe ich drei gesehen)
- Albinos (habe ich bestimmt zehn gesehen) und
- Märtyrerplakate (Die hängen überall).

Märtyrer gibt's in Nablus ohne Ende (seit Beginn der zweiten Intifada gab es in Nablus laut UN-Bericht 522 Tote, darunter 28 Frauen und 80 Kinder) und jeder kriegt sein eigenes Plakat. Manche sind sehr schlicht gestaltet, andere sind schiere Meisterleistungen des Grafikdesigns. Manchmal sieht man auch monumentale Märtyrer-Denkmäler, mit Blumen, Fotos und Inschriften. Auch Wandbilder und die Schriftzüge der Milizen sieht man sehr häufig.


Ich hatte sogar das zweifelhafte Vergnügen, mich mit einer handvoll Al-Aksa-Brigaden-Aktivisten zu unterhalten, die vor einem der Denkmäler rumlungerten, aber irgendwie habe ich immer ein komisches Gefühl, wenn ich mich mit bewaffneten Menschen unterhalte. Wenn der Gesprächspartner eine geladene Waffe vor dem Bauch hängen hat, überlegt man sich instinktiv zweimal, was man sagt.



Nablus ist eine Hochburg des bewaffneten Widerstands, so gut wie jede Nacht kommt es zu Schiessereien, wenn israelische Soldaten in die Stadt eindringen und Leute verhaften wollen. Dabei gibt es immer wieder Tote, was wiederum neue Märtyrerplakate zur Folge hat. Der altbekannte Teufelskreis der Gewalt, denn jeder Tote, jeder Verletzte, jedes zerstörte Haus (seit der zweiten Intifada laut UN 9.055 allein im Distrikt Nablus) bringt den Milizen mehr Zulauf. In sofern können die wirklich dankbar für die Besatzung sein, denn ohne die israelische Armee wären auch sie arbeitslos…

Nachdem ich stundenlang durch die verwinkelten Gassen der historischen Altstadt und entlang des Hanges, auf dem der Tempel der Samariter steht geschlendert bin, gehe ich weiter Richtung Balata-Flüchtlingslager. Hier sind die Gassen enger, die Häuser runtergekommen und einfach gebaut. Überall Wandsprüche, Parolen, Flaggen. Es gibt ywar eine Kanalsisation, aber an manchen Stellen quillt das Abwasser aus undichten Rohren und läuft die Straßen entlang...



Weil ich zwei schnurrbärtigen Teenagern weder Geld noch Zigaretten gaben wollte, landen kurze Zeit später erst eine Flasche und einige Steine aus dem Nichts neben mir auf dem Boden. Auch eine Form, seinen Unmut auszudrücken, allerdings keine Form, um den Tourismus anzukurbeln…

Nachdem ich mich mit einem halben Kilo Baqlawa ausgestattet habe – Nablus ist berühmt für seine Süßwaren – mache ich mich auf den Rückweg, denn ich will vor Anbruch der Dunkelheit und vor Ausbruch der Kämpfe aus der Stadt raus sein. Am Checkpoint heißt es erst mal anstehen, denn aus A-Gebieten raus gibt es immer deutlich strengere und peniblere Kontrollen als rein. Nach dem ersten Drehkreuz und der Passkontrolle geht es durch einen Metalldetektor und dann weiter zur Gepäckkontrolle.

Ich stehe mit hunderten von Palästinensern in vier verschiedenen Reihen an den Schaltern zur Gepäckkontrolle an, als mich ein Soldat in der Menge entdeckt und mir zuruft:

- What are you doing here?
- I´m waiting to get trough...
- But this is for Arabs only – you can pass!

Ein alter Mann, der neben mir steht, kommentiert diese Aussage: „You see? This is how they treat us day by day. They treat us like animals. It is humiliating!”


Im Nachhinein fallen einem immer so viele passende Erwiderungen ein, aber in dem Moment war ich einfach nur baff. Konsequenterweise hätte ich sagen müssen, dass ich genauso eine Bedrohung für die Sicherheit darstelle, wie ein alter Mann, der in sein Dorf zurück will, wie eine Frau mit Einkaufstüten und wie ein Arzt, der Patienten ins nächstgelegene Krankenhaus bringt. Und deswegen soll er mich doch gefälligst auch durchsuchen…

Aus dem Ausspruch des Soldaten spricht eine Geisteshaltung, fast möchte ich schon sagen: eine Ideologie, die einfach nur rassistisch ist. Anders kann man es nicht nennen. Und der einzelne Soldat, der diese Geisteshaltung zur Schau stellt ist ja auch nur Produkt seiner Sozialisation. In diesem Land Israel/Palästina, wird auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens entlang ethnischer Grenzlinien darüber entschieden, welche Rechte ein Mensch hat.

Jüdische Israelis haben alle Rechte, Ausländer sind Gäste, die will man nicht vergraulen, arabische Israelis sind so´n Zwischending und Palästinenser können nach Lust und Laune eingesperrt, aufgehalten und rumkommandiert werden.

Ich hätte unter meiner Jacke oder in meiner Tasche sonst noch was bei mir haben können, aber ich bin kein Araber, deswegen bin ich ungefährlich, oder wie?!? Aber den Jungs und Mädels, die an den Checkpoints ihren Wehrdienst (oder, besser und passender gesagt: ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung der Besatzung) leisten, sind von klein auf indoktriniert, gehirnwascht und verblendet. Araber = Terroristen. Basta!

Aber bei den Checkpoints geht es ja nicht wirklich um Sicherheit, es geht um Kontrolle. Denn wer ein Attentat plant, verlässt die Stadt nicht durch den Checkpoint, sondern irgendwo in der Walachei über die Felder. Und da ändert auch die Mauer nichts dran. Wer rüber kommen will, der kommt rüber, notfalls unten drunter durch. An den Checkpoints geht es in erster Linie um Zugangskontrolle, die Möglichkeit der kompletten Abriegelung der gesamte Westbank und darum, die Bevölkerung spüren zu lassen, wer hier das Sagen hat.



Und das wurde uns auf dem Heimweg noch zwei mal verdeutlicht, als unser Taxi an flying Checkpoints angehalten wurde und unsere Ausweise per Funk auf Vorstrafen, Haftbefehle und Widerstandsaktivitäten überprüft wurden.

Meiner übrigens auch. Diesmal gab es keinen Herrenrassenbonus…