Sonntag, Februar 5

Grundsatzerklärung zum Vorwurf der Einseitigkeit

Jetzt mal was Grundsätzliches:

Zu meinem Blog im Speziellen

In den letzter Zeit wurde ich von verschiedenen Seiten mit dem Vorwurf der Einseitigkeit in meiner Berichterstattung konfrontiert. Mal dezent, mal direkt – aber stets mit dem gleichen Einwand: Meine Schilderungen seien zu einseitig und eindeutig zu pro-palästinensisch, ich würde die israelische Sicht der Dinge nicht ausreichend oder auch gar nicht beleuchten.


Dazu kann ich nur sagen:

Ja. Natürlich ist meine Berichterstattung einseitig. Schließlich befinde ich mich auf der einen und nicht auf der anderen Seite. Und ich erhebe auch gar nicht den Anspruch hier eine objektive und ausgewogene Dokumentation des Nahostkonfliktes abzuliefern. Niemand sollte von mir erwarten in diesem Blog neutral und ausgewogen über Geschichte und Gegenwart des Konfliktes aufgeklärt zu werden. Das ist nicht meine Aufgabe, das sollen andere machen. Ich für meinen Teil schildere hier meine ganz persönlichen Eindrücke und Erlebnisse.


Wäre ich auf der anderen Seite, würde ich andere Dinge erleben, andere Geschichten hören und vielleicht mehr Verständnis für die israelische Position in diesem Konflikt haben. Aber ich habe mich - bedingt durch meine Vorgeschichte und meine Interessensschwerpunkte - dazu entschlossen, mein Praktikum und meine Forschungsarbeiten in Palästina und nicht in Israel zu machen.


Und somit erlebe ich hier den palästinensischen Alltag, höre jeden Tag die Geschichten der Menschen hier und werde logischerweise dadurch geprägt und in meiner – zugegebenermaßen eher pro-palästinensischen – Haltung bestätigt. Und ich schildere meine Erlebnisse so, wie ich sie erlebe und das ist nun mal die palästinensische Situation. Das heißt jedoch nicht, dass ich mich zum Sprachrohr für einseitige Propaganda machen lasse, denn trotz aller Sympathie bewahre ich mir eine kritische Distanz, was in meinen Schilderungen doch hoffentlich auch immer wieder zur Sprache kommt. Denn das Schicksal Palästinenser auf eine reine Opferrolle zu reduzieren ist ebenso unsinnig wie nutzlos. Außerdem haben die Palästinenser, indem sie den Hass schürten und auf die Besatzung mit Terror gegen die israelische Zivilbevölkerung antworteten, ihr an sich gerechtfertigtes Anliegen – dem Streben nach Unabhängigkeit – ziemlich diskreditiert und sich so einige Sympathien (auch meinerseits) versaut.


Wenn ich dennoch Verständnis für den Kampf der Palästinenser nach Unabhängigkeit aufbringe, heißt dass nicht, dass ich ein Antizionist (Theodor Herzl war übrigens von Anfang an für eine Zwei-Staaten-Lösung) oder gar ein Antisemit bin. Ich habe nicht das geringste Problem mit der Existenz des Staates Israel, den Israelis als Menschen oder der jüdischen Religion als solcher. Antisemitismus und Kritik an Israel werden ja insgesamt gerne – teilweise, so scheint es mir, sogar absichtlich - in den selben Topf geschmissen.


Womit ich allerdings ein Problem habe, ist die israelische Regierungspolitik, die seit nunmehr 39 Jahren eine brutale militärische Besatzung der palästinensischen Gebiete aufrechterhält, eine aggressive und rücksichtslose Kolonialisierung dieser Gebiete vorantreibt und in ihrer Gesetzgebung in manchen Punkten eher an ein rassistisches Apartheidsregime denn an eine Demokratie erinnert. Eine Regierungspolitik, die sich einen Dreck um internationales Recht, die Genfer Konventionen oder UN-Resolutionen schert.


Zur Kritik an Israel im Allgemeinen


"As a Jew, I feel ashamed of what is committed in the name of my religion"

(James Wolfensohn - ehemaliger Direktor der Weltbank)


Wer ein solches Unrecht nicht beim Namen nennt, sondern aus einer falsch verstandenen Rücksichtsnahme verschweigt, wer Kriegsverbrechen, die vom jüdischen Staat begangen werden, aus einem (typisch deutschen?) Schuldkomplex heraus billigt, der sollte sich lieber gar nicht zu diesem Thema äußern und – wenn es denn nicht schon zu spät ist – besser auch nicht damit beschäftigen.


Und wer glaubt, als selbsternannter Linker Israel bedingungslos unterstützen zu müssen, das Vorgehen der israelischen Armee als notwenige Begleiterscheinung zur Erhaltung und Verteidigung des jüdischen Staates ansieht und damit der Besatzungs- und Besiedelungspolitik einen Freibrief ausstellt, dem empfehle ich, einfach mal hierher zu kommen und sich anzuschauen, was eigentlich Alltag unter Besatzung bedeutet.


Nicht das mich hier irgendjemand falsch versteht: Ich bin entschieden gegen jegliche Schlussstrich-Debatte. Die deutsche Geschichte darf niemals vergessen, vernachlässigt oder klein geredet oder gar mit den Verbrechen anderer Nationen aufgerechnet und dadurch relativiert werden.


Die Tatsache, dass ich mir der deutschen Geschichte und der daraus resultierenden Verantwortung (auch und gerade für meine Generation) bewusst bin heißt jedoch nicht, dass ich Israel nicht kritisieren darf, wenn ich es für angebracht halte. Überzeugter Antifaschist zu sein heißt eben nicht bedingungsloser Philosemit zu sein.


Und die Tatsache, dass ich in meinen Berichten ein so starkes Verständnis für die Situation der Palästinenser aufbringe, heißt nicht, dass ich ein Terroristensympathisant bin. Ich kann jeden nur bitten, sich einmal zu überlegen, was er (oder sie) tun würde, wenn er unter Besatzung leben würde.


Wenn einem der tägliche Weg zur Schule, Uni, Arbeit, zu den Feldern, zum Krankenhaus, zu was auch immer, durch Soldaten der Besatzungsmacht erschwert oder gar ganz versperrt wird.

Wenn landwirtschaftlich genutzte Flächen, welche man seit Generationen bewirtschaftet, entschädigungslos enteignet werden.

Wenn man ein (unfreiwilliger) Bürger zweiter Klasse ist und einem elementare Rechte verwehrt bleiben.

Wenn täglich Leute verhaftet und ohne Anklage auf unbestimmte Zeit weggesperrt werden.

Wenn Kinder beim Spielen erschossen werden, weil sie sich zu nahe an einer Siedlerstraße oder der Mauer aufhielten.

Wenn es einem verboten ist, sich frei zu bewegen und ganze Städte wochenlang unter Ausgangssperre gestellt werden.

Wenn man von fanatischen Siedlern, die einem die fruchtbarsten Flecken Land entwenden, bedroht, beschossen und an der Ernte gehindert wird.

Wenn es einem untersagt ist, Brunnen zu bohren, die tiefer als 75 Meter sind und man stattdessen sein eigenes Wasser der Besatzungsmacht abkaufen muss.

Wenn Häuser beschlagnahmt werden, um militärische Stützpunkte einzurichten.

Wenn, wie beispielsweise in Rafah geschehen, dicht bebaute Wohngebiete plattgewalzt werden, um „Sicherheitszonen“ einzurichten.

Was soll man machen? Die Situation, so ungerecht sie auch ist, akzeptieren? Schweigend klein bei geben? Sein Land verlassen und damit die ethnische Säuberung des Landes auch noch unterstützen?

Ehud Barak, ehemaliger israelischer Ministerpräsident, war ehrlich genug, in einem Interview mit Gideon Levy, dem Chefredakteur der israelischen Tageszeitung Ha´aretz auf diese Frage zu antworten: „Ich würde mich einer Terrororganisation anschließen.“


Ich möchte mit meiner Argumentation keinesfalls barbarische Attentate auf Zivilisten rechtfertigen. Ich möchte nur, dass sich jeder, der sich mit dem Konflikt beschäftigt, einmal klar macht, was hier Ursache und was Wirkung ist. Jeglichen palästinensischen Widerstand als „Terrorismus“ abzustempeln, schafft zwar ein klares Gut-Böse-Schema, blendet aber die wahren Beweggründe der „Terroristen“ aus. Niemand sprengt sich und/oder andere in die Luft, weil er ein böser Mensch ist, sondern wegen der Umstände, die ihn dazu bewegen. Weil er in dem fatalen Glauben handelt, mit seinem Tod mehr bewirken zu können als mit seinem Leben.


Zur Sicherheit noch einmal: Ich verurteile Anschläge auf Zivilisten zutiefst.


Selbstverständlich weiß ich auch, dass es auch auf israelischer Seite friedenswillige und vernünftige Stimmen gibt und dass längst nicht alle Israelis hinter den imperialistischen Groß-Israel-Plänen der national-religiös motivierten Polit-Elite stehen. Da gibt es die schon erwähnte Initiative „Breaking the Silence“, es gibt „Gush Shalom“, „Checkpoint Watch“, „Jewish voice for peace“, „Al Haq“ und unzählige mehr. Und ich freue mich darauf in den nächsten Wochen und Monaten auch Israel zu bereisen und sowohl das Land, als auch seine Bewohner näher kennen zu lernen. Auch das habe ich mehrmals erwähnt und ich kann es nur wiederholen.


Fazit

Einen Frieden kann und wird es nur geben, wenn es ein gerechter Frieden ist. Solange der Stärkere in diesem Konflikt dem Schwächeren die Bedingungen, die – logischerweise – seine eigenen Interessen schützen, diktiert, wird es Widerstand (in welcher Form auch immer) geben. Kein Palästinenser, der auch nur halbwegs bei Trost ist, hat etwas gegen eine Zwei-Staaten-Lösung einzuwenden. Die Menschen hier sind – ebenso wie die Israelis – kriegsmüde, sie wollen einfach nur in Ruhe ihr Leben leben. In Frieden und Seite an Seite mit Israel als Nachbarn.


Von den Palästinensern, insbesondere von der neuen Regierung wird in letzter Zeit immer wieder verlangt, sie müsse auf Gewalt als Mittel der Politik verzichten und Israel in den Grenzen von 1967 anerkennen. Fragt eigentlich irgendjemand ob Israel nicht vielleicht auf Gewalt als Mittel der Politik verzichten und einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 anerkennen möchte?



Abschließend möchte ich betonen, dass ich mich über jede Mail, egal welchen Inhalts, freue und gerne bereit bin unterschiedliche Sichtweisen zu diskutieren. Aber irgendwann muss auch mal gut sein, denn dieser Konflikt (der in seiner Natur eigentlich ein politischer, nämlich der Kampf einer Unabhängigkeitsbewegung gegen eine Kolonialmacht, ist) ist viel zu sehr emotional und religiös aufgeladen, als dass man noch eine wirklich rationale Debatte darüber führen könnte…


In diesem Sinne: Ma´a salami! Shalom! Frieden sei mit euch!


Literaturtipps

Wer sich tiefer gehend für den HickHack um Israel-Kritik und die stets über diesem Thema schwebende Antisemitismuskeule interessiert, dem seien fürs Erste diese Essays ans Herz gelegt:

Robert Fisk, Redakteur bei der britischen Zeitung The Independent: „Wenn Journalisten sich weigern, die Wahrheit über Israel zu sagen“

Michel Warschawski, Leiter des Alternative Information Center in Jerusalem: „Antizionismus ist nicht Antisemitismus“

Peter Ullrich, deutscher Historiker: „Bedingungen und Grenzen der (linken) Solidaritaet mit Israel/Palaestina“

Geoffrey Aronson, Autor bei der Ha'aretz: "It's the occupation, stupid!"

taz-Interview mit Gideon Levy: "Jeder sollte Israel kritisieren"
Der Artikel ist im online-Archiv leider nur gegen Gebuehr zu lesen, also entweder im Altpapier oder in der Bibliothek nachschauen (taz vom 1.11.2005, Seite 4).


Und wer grundlegende, objektive und neutrale Informationen über den Nahostkonflikt sucht, dem empfehle ich ein Besuch auf israelipalestinianprocon.org oder, wer es lieber auf Papier mag, die Lektüre des Standardwerkes Friedrich Schreiber & Michael Wollfsohn: NAHOST – Geschichte und Struktur des Konflikts


1 Comments:

Anonymous Anonym said...

moin aselmus, lese gerne deine berichte, fasse mir nur gerade ob dieser lächerlichen karikaturnummer permanent an meinen schweren kopf. kann das sein, dass die alle so dermassen einen an der waffel haben, egal welchen gott sie nun vorschieben.
selber denken...
pass auf dich uff...
beste grüsse
christian

ps: allah ist groß, allah ist mächtig, steht er auf nem stuhl, dann 1Meter sechzig

Montag, Februar 06, 2006 5:55:00 PM  

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