Mittwoch, April 5

Es kommt erstens anders und zweitens als man denkt

Ramallah, 25. März 2006

Es sollte eigentlich nur ein kurzer Ausflug nach Jericho und ans Tote Meer werden, aber es wurde eine 2 tägige Reise voller abrubten Wendungen und unerwarteten Überraschungen.

Wir nahmen ein Sammeltaxi ab Ramallah nach Jericho. Seit meinem letzten Besuch in Jericho wurde das Jordantal faktisch annektiert (siehe hier), was sich beispielsweise durch neue Checkpoints bemerktbar macht, welche nur Autos mit spezieller Genehmigung und einem speziellen gelben Schild in der Windschutzscheibe passieren dürfen.

In Jericho sind wir zum Kloster der Versuchung hochgekraxelt. Dort oben, in einer der Höhlen im Berg hat Jesus 40 Tage lang gefastet, wobei im irgendwann Satan höchstpersönlich erschien und ihn mittels einer Pizzalieferservicespeisekarte in Versuchung bringen wollte.


Als wir nach langem Aufstieg in der prallen Sonne endlich oben angekommen waren, wurde uns gesagt, dass das Kloster heute leider nicht zu besichtigen sei, denn der Pater ist nach Jerusalem gefahren und hat den Schlüssel mitgenommen. Schade, dann halt nicht, der Weg hat sich aber schon alleine wegen der fantastischen Aussicht auf das Jordantal gelohnt.

Zurück in Jericho haben wir bei Doktor David erstmal einen Liter frisch gepressten Orangensaft getrunken. Doktor David war eine tolle Erscheinung: er war nahezu maximalpigmentiert, ausgesprochen fett, sprach unzählige Sprachen, lachte gerne und viel, fütterte seine Ziegen mit Orangenschalen und hatte exakt so viele Zähne wie Augen. Nähmlich jeweils eins.


In der Innenstadt haben wir dann drei deutsche Backpacker getroffen, die in der Wüste übernachtet hatten und - wie wir - weiter ans Tote Meer wollten. Also alle zusammen in ein Sammeltaxi und raus aus der Stadt. Doch leichter gesagt als getan. Am südlichen Checkpoint, der den Ausgang aus Jericho Richtung Totes Meer bildet tobte gerade eine mittlere Straßenschlacht.

Die israelische Armee hatte in der Nacht zuvor per Hubschrauber einen Aktivisten der Al-Aqsa-Brigaden liquidiert und die Shebab (Jugendlichen) von Jericho hatte sich nun vor dem Checkpoint versammelt, um ihrer Wut Luft zu machen. Das erklärte auch die schwarzen Rauchschwaden, die wir den ganzen Tag über der Stadt gesehen haben. Das erklärte auch die Hubschrauber, die die anderen drei die ganze Nacht in der Wüste gehört hatten.

Vermummte Kinder und Jugendliche rannten mit ihren Steinschleudern umher, überall brannten Barrikaden und Autoreifen und die Straße zum Checkpoint war dementsprechend unpassierbar. Hin und wieder mischte sich zu dem schwarzen Rauch der Autoreifen der weiße Rauch der Tränengasgranaten, die die israelischen Soldaten vom Checkpoint aus abfeuerten, um sich die Steineschmeißer vom Leib zu halten.

Unser Taxifahrer weigerte sich diese Szenerie zu passieren, es sei zu gefährlich, wir sollten doch besser in Jericho bleiben, bis sich die Situation beruhigt hätte.

Als bibelfester Atheist fiel mir da eine passende Bibelstelle ein:

Die Ammoniter aber waren ausgezogen und stellten sich zum Kampf auf vor dem Tor der Stadt. Die Könige aber, die gekommen waren, standen für sich auf freiem Feld. Als nun Joab sah, dass vor und hinter ihm sich der Kampf gegen ihn richtete, erwählte er aus der ganzen jungen Mannschaft in Israel einen Teil und stellte sich gegen die Aramäer. Und sie gingen weg und man berichtete David über die Männer. Er aber sandte ihnen entgegen, denn die Männer waren sehr geschändet. Und der König ließ ihnen sagen: Bleibt in Jericho bis euer Bart gewachsen ist; dann kommt zurück. (1Chr 19,5 und 19,9)

Weil wir aber heute noch ans Tote Meer wollten, heuerten wir einen anderen Taxifahrer an, der bereit war uns durch diese Miniatur-Intifada hindurch zu fahren. Also fuhren wir zu sechst in einem Uralt-Mercedes etwa 20 Meter neben der verbarrikadierten Straße durch die steinige Landschaft, links von uns ruhten sich die Vermummten im Schatten von großen Straßenschildern aus und zerbrachen Steine in munitionsgerechte Brocken, alles war voller Qualm und hin und wieder kam im hohen Bogen eine Tränengasgranate angeflogen. Die Jungs hatten nicht einmal die Chance in Wurfweite der Soldaten zu gelangen, weil die Reichweite der Granaten ein vielfaches der Reichweite einer Steinschleuder betrug.

Nach einigen Minuten holpriger Fahrt im Schritttempo kamen wir zum Checkpoint, wo einige Soldaten, die kaum älter als die ältesten Jungs auf der anderen Seite waren, lässig an einem Jeep lehnten und die Gegenseite im Auge behielten.

Der Taxifahrer konnte uns leider auch nur bis zum nächsten Checkpoint am Toten Meer fahren, für das Gebiet dahinter hatte er keine Permission. An diesem Checkpoint gab uns ein Soldat dann noch den weisen Rat, doch in Zukunft keine palästinensischen, sondern lieber israelische Taxis zu benutzen, das sei sicherer. Tscha, für ihn vielleicht! Für jeden Menschen dieser Welt, der nicht der israelischen Besatzungsarmee angehört, ist ein palästinensisches Taxi ein sicheres, zuverlässiges und preisgünstiges Transportmittel...

Weiter ging es zu Fuß mehrere Stunden entlang des Toten Meeres, bis wir letztendlich eine Bucht erreichten, in der man ohne Eintritt zu zahlen baden konnte und wo es eine heiße Schwefelquelle gab, die zwar extrem nach faulen Eiern stank, darin zu baden aber sehr entspannend war.


Gegen abend wollten Sonja und ich dann weiter zu dem israelischen Badeort En Gedi, der nach Auskunft eines Israeli, der auch in der besagten Bucht war nur 2-3 Kilometer weiter die Straße lang liegt. Er hatte sich nur leider leicht verschätzt. Denn nach einer Stunde Fußmarsch war noch immer weit und breit kein En Gedi in Sicht.

Und Trampen gestaltete sich als sehr schwierig, denn die wenigen Autos, die vorbei kamen, weigerten sich beharrlich zwei verdächtig aussehende Europäer in Badesachen mitzunehmen.
In En Gedi dann die böse Überraschung: Es fuhren keine Busse mehr nach irgendwo, sprich wir waren gestrandet, verloren, schiffbrüchig sozusagen mit nichts als dem Salz auf unserer Haut und nassen Handtüchern in der Tasche.

Aber wenigstens reichte das gelb noch für Bier und Papp-Sandwiches vom Kiosk. Dann plötzlich fuhr ein VW-Bus an uns vorbei, der doch tatsächlich Berliner Nummernschilder hatte. Drinnen saßen zwei Israelis. Dwell, der an der Rummelsburger Bucht in einer Wagenburg wohnt, war mit der Kiste von Berlin aus über den Balkan und die Türkei, per Fähre über Zypern nach Israel gefahren und tuckerte nun mit Mika, einer Freundin, die in New York lebt durch das Land.


Die beiden luden uns zum Essen ein, wir brachten das Bier mit, zum Nachtisch gab es Mika´s Special, ein Cocktail aus Erdbeeren, frischer Minze, Arak und Grapefruitsaft. Sehr zu empfehlen!

Die Nacht verbrachten wir in einer Hängematte zu zweit in einem Schlafsack. Beides hatten uns Dwell und Mika netterweise zur Verfügung gestellt. Geweckt wurden wir von der rotglühenden Sonne, die über den jordanischen Bergen aufging.

Es tat sehr gut auch mal solche Israelis kennen zu lernen, mit denen man sowohl über privates als auch über politisches diskutieren konnte und die beide die Politik ihres Heimatlandes alles andere als toll fanden. Auf die bevorstehenden Wahlen angesprochen meinten sie nur, dass sie beide noch nie gewählt hätten, höchstens mal ungültig. "Wen sollten wir denn wählen, keine einzige Partei stellt die Besatzung grundlegend in Frage."

Beide hatten den Militärdienst verweigert, sind extrem weltlich und hielten den Zionismus für eine per se rassistische Ideologie. Ich bin extrem froh, die beiden kennengelernt zu haben, denn sie haben mein Bild von den Israelis wieder gehörig gerade gerückt. Klar wusste ich auch vorher, dass es Unmengen von Israelis gibt, die mit der ganzen Kacke, die hier abläuft nicht einverstanden sind. Nur hatte ich sie bisher nicht persönlich getroffen. Die einzigen Israelis, die man in der Westbank zu Gesicht bekommt, sind gehirngewaschene Soldaten und fanatische national-religiöse Siedler.

Und selbst in einem so idyllischen Badeort wie En Gedi kann man den Konflikt nicht ausblenden, selbst wenn man sich bemüht:
Die Mülltonnen werden von Palästinensern geleert, die Bänke im Schatten der Palmen werden von Palästinensern gestrichen, an der Tanke arbeiten Palästinenser und hin und wieder kommt ein Bus voller Siedlerkinder mitsamt Waffen und Kippa tragenden Begleitpersonen an.

Nach einem gemeinsamen Frühstück waren wir noch ein paar Stunden baden, haben die salzverkrusteten Uferlandschaften bewundert und sind stundenlang in der Sonne rumgelegen.



Das Tote Meer ist der absolute Hammer, man kann sich reinlegen wie in einen Liegestuhl, man kann die Armee hinter dem Kopf verschränken und sich im wahrsten Sinne des Wortes treiben lassen.


Dann haben wir irgendwann den Bus nach Jerusalem genommen und waren rechtzeitig zum Sonnenuntergang wieder am altvertrauten Qaladya-Checkpoint, dem Tor in die andere Welt.


Zu Hause wurden wir schon sehnsüchtig erwartet, meine Mitbewohner hatten sich schon Sorgen gemacht. Ich habe versucht, sie zu verarschen, indem ich behauptete, wir hätten die Nacht in Jericho im Knast verbracht, aber Ernst durchschaute den Schwindel: "Das Gefängnis von Jericho gibt es doch gar nicht mehr..."

Da hat er vollkommen Recht: Die Trümmer von dem, was mal das Gefängnis und die angrenzende Polizeistation war, haben wir bei unserer Fahrt aus der Stadt heraus selbst gesehen.