Dienstag, Februar 7

Das geschieht Dänen recht!

Die Skandinavier sind gottlose Leute, »schier wie Bestien«, urteilt Ahmed Ibn Fadlan, ein Abgesandter des Kalifen von Bagdad, der die Sitten der Barbaren aus dem Norden in den Jahren 921 und 922 erkundete. Es komme sogar vor, dass sie ihren sexuellen Trieben in der Öffentlichkeit nachgehen, »der eine vor den Augen des anderen«. Ihre Habsucht sei ebenso unermesslich wie ihre Gier nach Schweinefleisch, und sie konsumieren »Tag und Nacht« alkolholische Getränke »Oft genug geschieht es, dass einer von ihnen mit dem Becher in der Hand stirbt.«


Auerhauerhauerha! Diese Karikaturengeschichte hat sich mittlerweile zu einem waschechten Kampf der Kulturen entwickelt, der komplett durchgeknallte Mob frommer Muslime (und solche, die sich dafür halten) von Casablanca bis Jarkata ist empört und brandschatzt alles, was nicht bei "Allahu akbar!" auf den Bäumen ist und die Europäer halten die Meinungs- und Pressefreiheit hoch.

Klar, natürlich gibt es die, aber mich würde ja mal interessieren, wie diese ganzen "Ist doch deren Problem bei uns gibts immernoch Meinungsfreiheit Fuzzis", die gerade Talkshows und Feuilletons bevölkern, reagieren würden, wenn die dänischen Karikaturisten statt einem grimmigen, blutrünstigen Propheten mit Bombe im Turban den Papst im Puff oder einen schweineschnitzelfutternden Rabbi beim Panzer fahren gezeichnet hätten.

Ich wette, da würde es weniger Verständnis geben.

Es gibt Meinungsfreiheit und es gibt Verleumdung und Volksverhetzung. Und die Antwort liegt irgendwo dazwischen...

Aktualisierung:
Keine halbe Stunde, nachdem ich diesen Gedanken formuliert habe, lese ich, dass eine grosse Tageszeitung aus Teheran einen Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb plant, um die angebliche Meinungsfreiheit des Westens zu testen. Krass auf der einen, konsequent auf der anderen Seite.

Gute Kommentare zu dieser absurden Abkündigung gibt es in der taz und in der Zeit.



Mehr zu dem Ganzen Theater gibt´s beim freiburger online-Magazin fudder.de, denen habe ich heute ein Interview gegeben, in dem ich mich ausführlich zu der ganzen Sache und meiner Sicht der Dinge geäußert habe.

Aber alle, die denken, ich sei hier mitten drin im Epizentrum der brandschatzenden Islamisten, muss ich leider enttäuschen: Es ist ruhig, friedlich, noch gibt es Tuborg-Bier im Alkoholladen, zumindest habe ich es gestern noch im Regal gesehen. (Wobei mein Kollege heute meinte, man solle die Leute lieber im Glauben lassen, hier sei Rambazamba ohne Ende, draussen tobe der Mob, wir hätten Polizeischutz und riskieren täglich gesteinigt zu werden. Das gibt einem das Image eines furchtlosen Haudegen, der mittendrin im Geschehen ist, meinte er...)

Ramallah und die gesamte Westbank ist ruhig, gestern wurden lediglich in Bethlehem einige dänische Flaggen verbrannt. Im Gaza-Streifen sieht es schon anders aus, aber Gaza ist auch in allen Dingen extremer. Extrem überbevölkert, extrem arm, extrem radikal und extrem gewalttätig. Allerdings waren es auch dort Al-Aksa-Brigaden, die das europäische Kulturzentrum, die belgische Botschaft und das deutsche Vertretungsbüro angegriffen haben. Die Hamas macht einen auf vernünftige und staatstragende Partei und hat ihre Milizen im Griff, scheint es.

Aktualisierung:
Ein Hamas-Sprecher im Gazastreifen hat derweil ausländische Journalisten eingeladen und ihnen versichert, dass ihr Aufenthalt und der ihrer Landsleute in den palästinensischen Gebieten gesichert sei. Man beschuldige nicht sie, sondern ihre Regierungen. Nachdem Fatah-Aktivisten Drohungen gegen im Gazastreifen lebende Christen aussprachen, stellte die Hamas dort bewaffnete Kämpfer der Is-Eddin-Al-Qassam-Brigaden zum Schutz von Klöstern und Kirchen ab. (heise-online)


Die witzigste Annekdote zu dem ganzen Spektakel habe ich heute bei reuters gelesen:

Geschäftsmann aus Gaza bestellt 100 dänische Flaggen zum Verbrennen und verkauft sie für 15 $ das Stück

Yeah, that´s capitalism, baby!


Wer auch nur ansatzweise kulturwissenschaftlich interessiert ist und sich mal mit dem Bilderstreit auf einer analytischen Ebene beschäftigen will, dem möchte ich in aller Deutlichkeit den Essay "Im Rausch der Differenz" ans Herz legen. Manche Sätze muss man zweimal lesen, aber es werden sehr treffende Fragen aufgeworfen und die Absurdität des ganzen Heckmeck enttarnt...