Mittwoch, Februar 22

Die drei Weisen aus dem Morgenland hatten keine Checkpoints auf ihrem Weg nach Bethlehem...

21. Februar 2006

Nach langem Bemühen und zahlreichen Telefonaten hatte ich es endlich geschafft für heute einen Termin für ein Interview mit dem Herausgeber der Jerusalem Times zu bekommen. Um um 10 Uhr am Checkpoint zwischen Bethlehem und Ost-Jerusalem zu sein, bin ich um kurz vor 8 los. Immerhin sind es 40 Kilometer dort hin.

Man kann nämlich nicht einfach an Jerusalem vorbei nach Bethlehem, sondern muss entlang der Mauer einen Bogen um Ma´ale Adumim, dem großen Siedlungsblock östlich von Ost-Jerusalem fahren. Dass heißt auch: auf dem Hinweg drei Checkpoints und auf dem Rückweg drei Checkpoints, was wiederum bedeutet, jeweils drei mal Wartezeit einplanen zu müssen.

Man fährt durch die malerische hügelige Landschaft, durch kleine Dörfer, in denen alte Männer in der Sonne sitzen und den Tag genießen, Frauen die Wäsche auf den Dächern aufhängen und Kinder in den staubigen Straßen Fußball spielen.

Ab und zu sieht man Nomaden mit ihren Herden umherziehen und immer wieder, meist auf Hügelkuppen gelegen, stark befestigte, wie neuzeitliche Ritterburgen anmutende Siedlungen.

Ich frage mich immer wieder, was Menschen jüdischen Glaubens, deren Eltern oder Großeltern aus den Ghettos und den Stedteln Europas nach Israel geflohen sind, dazu treibt, freiwillig hinter Mauern und Stacheldraht eingepfercht zu leben.
Nostalgie? Masochismus?

Auf dem Weg nach Bethlehem zerschneiden immer wieder doppelt eingezäunte Siedlerstraßen die Landschaft. Die sind für normal Sterbliche Tabu, sondern – wie der Name schon sagt – ausschließlich für die Damen und Herren Siedler reserviert, die meinen hier leben zu müssen.

Willkommen in der verkehrsplanerischen Apartheid!


Das Interview war sehr ergiebig und ich habe neben vielen Insider-Informationen auch noch gute Literatur geschenkt bekommen. Anschließend war ich mit drei der Mitarbeitern Essen. Eine witzige Mischung: Eine 24jährige palästinensische Christin aus Bethlehem, die jeden Tag illegal im Auto eines Kollegen, der eine Genehmigung für Jerusalem hat, nach Ost-Jerusalem zur Arbeit kommt, weil sie selbst keine Genehmigung bekommt. Ein amerikanischer Jude, der neben Englisch auch noch fließend Hebräisch und Arabisch spricht und in kürzester Zeit drei Schnitzel und einen Falafel verputzt hat. Und ein älterer Israeli, der General in der IDF ist und nebenbei als Redakteur im Ressort „israelische Sicherheitspolitik“ arbeitet.

Diese drei Personen arbeiten zusammen, scherzen und lachen und verarschen sich gegenseitig non-stop und haben eines gemeinsam: die Einsicht, dass es besser wäre, zusammen in Frieden zu leben anstatt sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen...

Anschließend bin ich wieder rüber auf die andere Seite der Mauer. Als ich gerade ein Foto von dem Soldaten an dem monströsen Checkpoint gemacht habe, spricht mich eine Frau an:

„Don´t you know that it is illegal to take pictures of military areas?“

„This whole checkpoint is illegal. How can it be illegal to photograph something illegal?“

Sie lacht, gibt mir Recht und erzählt, wie die Familie, der das Gelände, auf dem der Checkpoint steht gehörte vor 2 Jahren entschädigungslos enteignet wurde. Due to security measures... wie so ziemlich alles in diesem Land, begründet wird.

Sie kommt aus den Staaten, studiert seit 3 Jahren Theologie in Jerusalem und lebt in Bethlehem. Nachdem sie mir eine kurze Stadtrundführung gegeben hat, geht sie nach Hause und ich zu Rahels Grab. Noch vor 2 Jahren beteten Moslems, Juden und Christen gemeinsam an Rahels Grab, doch dann kam die Mauer.


Die Mauer macht hier einen kleinen Bogen und sorgt dafür, das der Wallfahrtsort auf der israelischen Seite liegt. Die ehemalige Haupteinfahrtsstraße nach Bethlehem, in der früher ein Geschäft neden dem anderen lag, ist jetzt komplett verwaist, denn die Straße darf nur vom Militär und von jüdischen Pilgern befahren werden. Die eine Hälfte des Areals rund um Rahels Grab wurde zum Militärstützpunkt umfunktioniert, die andere Hälfte wurde zur Synagoge.


In der Zufahrtsstrße steht ein Jeep mit 4 oder 5 Soldaten. Ich frage, ob ich rein darf und ich darf. Hübsch haben sie sich´s gemacht: Betonklötze, Stacheldraht, Wachtürme, Überwachungskameras. Richtig gemütlich...


Als ich mich dem Eingang nähere, brüllt mich eine Stimme aus dem Off an: „You´re not allowed to be here!“ Doch, doch, ich bin allowed, die Soldaten vorne haben mich reingelassen. Also gut. Der Soldat kommt von seinen Wachturm runter, guckt in meinen Pass, fragt mich, ob ich alleine oder in einem Taxi hergekommen bin und geleitet mich dann zu einer massiven Stahltür, an die er mit dem Lauf seines Gewehres energisch anklopft.

Ein weiterer Soldat öffnet die Tür und ich kann herein. Drinnen ein Brunnen mit möglicherweise gesegnetem Wasser und zwei Gebetsräumen. Einer für Männer und einer für Frauen. Ist ja auch sinnvoll, sonst ist man doch nur abgelenkt beim Gebet. Die Frauen kommen hierher, um an Rahels Grab für Fruchtbarkeit und Empfängnis zu beten, was die Männer genau wollen, weiß ich nicht. Die sitzen mit dem Oberkörper wippend in einem Raum und kloppen sich Thora-Verse in den Kopf.

Als ich draußen den Armee-Jeep passiere, dröhnt es laut, aber dennoch freundlich „Hello, what´s your name?“ aus dem Lautsprecher. Soldaten (israelische wie palästinensische) machen übrigens gerne und häufig Gebrauch von den Lautsprechern auf ihren Fahrzeugen. Strahlt ja auch unheimlich Autorität aus, irgendwie...


Ich quatsche kurz mit den Soldaten, die alle in etwa in meinem Alter sind über Dinge, die wichtig sind. Krieg und Frieden, Mercedes, Israel, Frauen und so weiter. Als sie als Antwort auf die Frage, wo ich denn wohne „Ramallah“ hören, sind sie entsetzt. Ein gefährliches Pflaster, ob ich denn keine Angst hätte.

Tscha, das glaube ich denen gerne, dass es für sie ein gefährliches Pflaster ist. Aber wenn man als Mensch und nicht als Soldat einer Besatzungsarmee nach Ramallah geht, wird man herzlich empfangen.

Der Soldat ganz rechts auf dem Bild ist äthiopischer Jude und kam mit 5 Jahren im Zuge der Operation Moses nach Israel. Er trägt eine dicke ballonförmige Wollmütze und spricht - im Gegensatz zu seinen russisch-stämmigen (und meist auch stämmigen) Kollegen richtig gutes Englisch.

Ich bin gerade am Weitergehen, als ein Taxi mit offenen Fenstern und lauter Musik die Kurve vor dem Jeep vorbeifährt. Die Insassen klatschen im Rhythmus und singen. Einer der Soldaten springt aus seinem Jeep, hebt einen Stein auf und schmeißt ihn auf das Auto, trifft aber nicht. So macht man sich Freunde unter den Einheimischen!

Bethlehem selbst ist eine schöne, gemütliche Kleinstadt. Sehr viele Christen (trotzdem gingen bei den Wahlen 2 von 4 Sitzen an Hamas-Kandidaten, die anderen 2 Sitze nur über die Christenquote an Fatah-Leute) und alles voller Souvenirläden.


Nur gibt´s keine Touristen , denn seit der Intifada ist der Tourismus völlig zusammen gebrochen. „Hin und wieder kommt eine Busladung Amerikaner oder Italiener, aber die laufen meist nur durch die Stadt und kaufen nichts“, meint Adnan, ein Ladenbesitzer traurig. Und seit Bethlehem von der Mauer umringt ist, ist es für die Bewohner nur mit spezieller Genehmigung möglich nach Jerusalem zu gehen. Man kann die Kuppel des Felsendomes sehen – die Jerusalemer Altstadt ist vielleicht 6 Kilometer Luftlinie entfernt. Adnan war seit 5 Jahren nicht mehr dort.

In der Geburtskirche bietet sich ein kafkaeskes Schauspiel: die Kirche ist in mehrere Segmente unterteilt, in jedem findet gerade ein anderer Gottesdienst statt. Der katholische auf Latein, der syrisch-orthodoxe auf Arabisch, der russisch-orthodoxe auf Russisch und in der Geburtsgrotte sitzt eine der besagten Busladungen Pilger auf Wisconsin und singt „Go, tell it on the mountain“.



Auf dem Rückweg wieder entlang der Mauer und durch die Hügel. Als wir an einem der Checkpoints mal wieder ewig warten müssen, meint ein Mitfahrer:

„Jeden Tag Probleme mit den Juden!“

Ich frage ihn, wieso er nicht „Israelis“ oder noch präziser „israelische Soldaten“ sagt.

Weil er die Israelis nicht meint, antwortet er, denn der Begriff würde auch die 20% arabische Israelis einschließen, seine „arabischen Brüder“, wie er sie nennt. Und die würden ja auch nicht in der Armee dienen (tun sie wirklich nicht - sie werden nicht eingezogen, weil man an ihrer Loyalität zweifelt), deswegen seinen alle Soldaten, die ihm tagtäglich das Leben schwer machen und auch alle Siedler, die immer mehr Land für den Bau der Siedlungen rauben, Juden. Also sei es auch korrekt, diese beiden Begriffe synonym zu verwenden. Traurig, aber wahr...


Nach dem Checkpoint dann eine kurze Pause an einer Tankstelle – unser Fahrer musste beten. Selbstverständlich hatte er seinen persönlichen Gebetsteppich im Kofferraum, den er auf dem ölgetränkten Boden der Tanke auslegte und, nachdem er sich Hände und Füße gewaschen hatte hinter dem Auto, also vor dem Auspuff betete. Bei laufendem Motor, versteht sich.

Dass ich hier so oft und so ausführlich über Checkpoints berichte, hat nichts mit einem persönlichen Faible für selbige zu tun, sondern schlicht und ergreifend damit, dass man in der West Bank keine halbe Stunde Auto fahren kann, ohne an einen Checkpoint zu kommen. Dadurch wird einem ständig bewusst, dass das Gebiet unter militärischer Besatzung steht.

Und diese Besatzung kann nur durch Gewalt und die massive Präsenz des Militärs aufrechterhalten werden, weil sie – wen wundert´s? - nicht den Hauch eines Rückhaltes in der Bevölkerung hat.

Checkpoints können aber auch ästhetisch sein. Wenn keine Soldaten da sind, zum Beispiel.

Das habe ich neulich bei einem Spaziergang durch die Gegend um Birzeit festgestellt. Dort war der Checkpoint total verwaist.


Manchmal ist er offen und man wird kontrolliert, manchmal ist er komplett geschlossen und man kommt gar nicht durch, manchmal ist auch überhaupt kein Soldat da. Was wieder einmal mehr beweist, dass es bei der ganzen Sache mit den Checkpoints nicht etwa um Sicherheit sondern um Kontrolle, Dominanz und willkürliche Demütigung geht...

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Hallo! Klasse Bericht, sehr authentisch, auch für demanden wie mich, die ich nochnich in Palästina/Israel war.
Grüße aus Berlin,
Judith B. / Lucas Group

Freitag, Februar 24, 2006 6:25:00 PM  

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