Mittwoch, April 12

Just another brick in the wall...

Montag, 27. März 2006


Als wir uns an diesem Montag Vormittag auf den Weg nach Jerusalem machten, um von dort aus weiter nach Eilat und letztendlich in den Sinaii zu fahren, wurden wir am Qalandya-Checkpoint Zeugen eines denkwürdigen Augenblickes.

Ein riesiger Tieflader parkte neben der Mauer, die hier bisher noch eine kleine, vielleicht 20 Meter breite Lücke aufwies. Unter den wachsamen, oft aber hinter Siegelsonnenbrillen versteckten Augen von mit Uzis bewaffneten Polizisten lieferte dieser Tieflader Mauersegmente, die mit einem gigantischen Kran abgeladen und in Position gebracht wurden.









Nicht, dass diese 20 Meter irgendetwas ausmachen würden, denn über den Checkpoint kommt ohnehin nur, wer eine Jerusalem-ID oder gültige Genehmigung hat - dennoch herrschte eine seltsam bedrückende Stimmung, denn nun wurde die letzte Lücke in diesem Abschnitt der Mauer geschlossen.

Die Menschen, die in beide Richtungen über den Checkpoint die Welten wechselten zeigten sich wenig beeindruckt von dem Vorgehen und liefen kreuz und quer durch das Geschehen. Nur wenige blieben - wie wir - stehen und beobachteten mit einer seltsamen Mischung aus Neugier und Betroffenheit, wie die Mauerteile eines nach dem anderen abgeladen wurden.



Für das Leben und die Bewegungsfreiheit der Palästinenser ändert das Schließen dieser Lücke wie gesagt rein gar nichts, lediglich die Verkehrsführung wird sich den neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Das ausgeklügelte System der hierarchisch abgestuften ID-Cards, der Genehmigungen und Arbeitserlaubnisse hat die Bewegungsfreiheit der Palästinenser bereits so stark eingeengt, dass diese 20 Meter nun auch nichts mehr ausmachen.

Es war einfach ein sehr emotionaler Moment, zuzusehen, wie diese Lücke in der schier unüberwindbaren Mauer, die ich in den letzten drei Monaten dutzende Male passiert habe, nun geschlossen wurde.


Keine Stunde später saßen wir mit einem Pappbecher Milchkaffee im Restaurantbereich einer riesigen Shopping Mal in West-Jerusalem und warteten auf unseren Bus. Rings um uns herum eine bunte, von Neon-Reklame beleuchtete und von MTV beschallte Konsumwelt, in der junge Menschen in olivgrünen Uniformen shoppen, essen, herumalbern, flirten, auf ihre Busse warten.


Nichts, aber auch gar nichts, erinnert an die andere Welt, die nur 15 Kilometer entfernt existiert und die so komplett anders ist. Ob den Menschen, die hier ihr westliches Industrienationenleben leben bewusst ist, das es diese andere Welt gibt?

Wahrscheinlich schon, aber vermutlich blenden sie es aus, geht ja auch nicht anders, sonst würde man verrückt werden...

Vielleicht sollte man mal die Durchsagen, die an den Checkpoints ständig in schlechtem Arabisch durch die knarzenden Lautsprecher gebellt werden auf Hebräisch durch die Lautsprecher eines solchen Einkaufzenrums schicken:

EINER NACH DEM ANDEREN! AUSWEIS! STOP! WEITER! NA LOS, VERPISS DICH! EINER NACH DEM ANDEREN! AUSWEIS! STOP! TASCHE IN DIE MASCHINE! PAPIERE! MACH SCHON! DER NÄCHSTE! AUSWEIS! HE DU IM ROTEN PULLI, VERSCHWINDE HIER! WEG DA! EINER NACH DEM ANDEREN! AUSWEIS!

Ich glaube nicht, dass die für ihre Hamburger und Milchshakes anstehenden Kunden eine solche Behandlung als angenehm empfinden würden.



Niemond hod die Obsüschd eine Mauer zu errischdn...

Was die Mauer, oh, pardon: den Sicherheitszaun anbelangt, so scheint ja immer noch die Meinung vorzuherrschen, es ginge bei dem ganzen Aufwand um Sicherheit vor Terroranschlägen. Mag, sein, dass das mit eine Rolle spielt, aber in erster Linie geht es darum, demographische und territoriale Fakten zu schaffen und den Zugang ins israelische Kernland zu kontrollieren. Bei der Gelegenheit werden dann noch gleich die fruchtbarsten Böden, die größten Siedlungsblöcke und die ergiebigsten unterirdischen Wasserreservoirs der West Bank dem israelische Kernland einverleibt. Alles im Namen der Sicherheit, versteht sich!

Prinzipiell wäre ja gar nichts gegen eine Mauer einzuwenden, wenn sie denn auch nur annähernd entlang der grünen Linie verlaufen würde. Nach dem Motto: Macht ihr euern Staat, wir machen unseren und in 20 Jahren gucken wir mal, ob wir wieder miteinander können. Dem ist aber nicht so. Die Besatzung und Besiedelung des Westjordanlandes wird nämlich nach wie vor auch östlich der Mauer aufrechterhalten.


Einen Besuch wert ist auf jeden Fall die offizielle Sicherheitszaun-Homepage des israelischen Verteidigungsministeriums. Ein gutes Beispiel dafür, dass die israelische Öffentlichkeitsarbeit um ein vielfaches ausgeklügelter, besser und proffessioneller ist, als die palästinensische.

Sehr zu empfehlen ist auch das Aufklärungs- bzw. Werbe-Video, welches man auf der Seite runterladen kann. Dort wird durchaus kritisch nach Sinn und Zweck der Mauer, quatsch: des Sicherheitszaunes gefragt, aber letzendlich bewerben sie die Mauer, als sei es eine neue Zahnpasta. Abgesehen davon behaupten sie in dem Video, lediglich 3% des Zaunes bestünden "aus einer soliden Betonkonstruktion".

Ich bin ja nun doch schon ein kleines bisschen in der West Bank rumgekommen. Mein Eindruck ist allerdings, dass man ständig und überall die Mauer und nur sehr selten einen Zaun sieht.




Um der offiziellen Sicherheits-Propaganda was entgegen zu setzen sei an dieser Stelle auf die israelische Menschenrechtsorganisation B´tselem hingewiesen. Auf deren Website findet man nämlich allerhand Informationen, die mit der offiziellen Version zu Sinn und Zweck der Mauer ganz und gar nicht zusammen passen.

Weitere Informationen zum anti-islamistischen Schutzwall bieten beispielsweise STOP THE WALL , thewallofhate und JMCC.

Gush Shalom gehen auf ihrer Seite direkt auf die angeblich so edlen Absichten der Mauer ein und entlarven die Argumente der Mauerbefürworter, die Mauer sei nur für die Sicherheit, habe die Anzahl der Selbstmordattentate drastisch reduziert und sei überhaupt nur eine temporäre Maßnahme. Außerdem bieten sie eine hervorragende Broschüre als PDF zum download an, in der sie den Sinn und Zweck der Mauer auf eine einfache Formel bringen:

So viel Land wie möglich und so wenig Palästinenser wie möglich Israel einzuverleiben.

Aber alle Informationen, Bilder und Karten können einem keinen Eindruck davon vermitteln, was die Mauer im alltäglichen Leben für Auswirkungen hat. Am besten ist es natürlich, einfach selber hin zu fahren und sich die Ausmaße und -wirkungen der Mauer mal persönlich anzusehen. Dazu muss man nicht einmal in die palästinensischen Autonomiegebite, falls einem das zu gefährlich ist.

Es reicht in Jerusalem einen Spaziergang auf der historischen Stadtmauer zu machen und einfach mal nicht, wie alle Touristen in Richtung Altstadt und Klagemauer zu gucken, sondern den Blick leicht Richtung Süd-Osten zu drehen...



Dann sieht man, wie sich das bis zu 8 Meter hohe graue Ungetüm durch die hügelige Landschaft schlängelt und auf seinem Weg Nachbarn voneinander trennt.