Montag, April 24

So, das war´s...

Nach einigen schönen und erholsamen Tagen im Sinaii mit Bergen und Meer und ganz ohne Checkpoints ging es am 1. April über Eilat, Beer Sheva, Tel Aviv, Jerusalem zurück nach Ramallah. Dort gab es dann noch eine formidable Abschiedsparty im Star Mountain mit jeder Menge süffigem Taybeh Beer.

Sonntag Abend hieß es dann endgültig Abschied nehmen, was nach diesen erlebnisreichen drei Monaten etwas schwer fiel - ich hätte ohne Probleme noch ein paar Monate länger bleiben können.

Taxi - Taxi - Checkpoint - Taxi - Checkpoint - Bus - Bus - Flugzeug - Flugzeug - Bus - S-Bahn - Bus und schon war ich wieder zuhause in meiner WG.



Ich kann jedem, der sich für die Region und den Konflikt interessiert, nur raten mal nach Palästina zu fahren. Und jeder, der Israel besucht, sollte zumindest mal für ein oder mehr Tage auf die andere Seite der Mauer schauen und selbst erleben, was Israel in seinem Hinterhof veranstaltet. Das hilft ungemein für das Verständnis dieser so furchtbar festgefahrenen Situation.

Die derzeitige Lage und momentane Entwicklung in Palästina (Einstellung aller Finanzhilfen, Attentat in Tel Aviv, die drohende humanitäre Katastrophe in Gaza, etc.) betreffenen mich mehr als zuvor, da ich jetzt mit all den Ortsnamen eigene Erlebebnisse und Bilder verbinde.

All das wäre es wert, berichtet und kommentiert zu werden, denn was dort unten tagtäglich abgeht bekommt man in Deutschland ja nicht wirklich mit.

Aber das ist nicht Sinn und Zweck dieses Blogs, vielleicht werde ich das demnächst an anderer Stelle tun, jetzt widme ich mich erst einmal meiner Diplomarbeit und damit dem Mediensystem in Palästina.

Hier gibt es nach wie vor meine Reiseberichte zu lesen - viel Spaß beim Stöbern und Schmökern!

Für Fragen, Anregungen oder Kritik gibt es die Kommentarfunktion unter jedem Beitrag, ansonsten freue ich mich auch über jede mail...

Mittwoch, April 12

Just another brick in the wall...

Montag, 27. März 2006


Als wir uns an diesem Montag Vormittag auf den Weg nach Jerusalem machten, um von dort aus weiter nach Eilat und letztendlich in den Sinaii zu fahren, wurden wir am Qalandya-Checkpoint Zeugen eines denkwürdigen Augenblickes.

Ein riesiger Tieflader parkte neben der Mauer, die hier bisher noch eine kleine, vielleicht 20 Meter breite Lücke aufwies. Unter den wachsamen, oft aber hinter Siegelsonnenbrillen versteckten Augen von mit Uzis bewaffneten Polizisten lieferte dieser Tieflader Mauersegmente, die mit einem gigantischen Kran abgeladen und in Position gebracht wurden.









Nicht, dass diese 20 Meter irgendetwas ausmachen würden, denn über den Checkpoint kommt ohnehin nur, wer eine Jerusalem-ID oder gültige Genehmigung hat - dennoch herrschte eine seltsam bedrückende Stimmung, denn nun wurde die letzte Lücke in diesem Abschnitt der Mauer geschlossen.

Die Menschen, die in beide Richtungen über den Checkpoint die Welten wechselten zeigten sich wenig beeindruckt von dem Vorgehen und liefen kreuz und quer durch das Geschehen. Nur wenige blieben - wie wir - stehen und beobachteten mit einer seltsamen Mischung aus Neugier und Betroffenheit, wie die Mauerteile eines nach dem anderen abgeladen wurden.



Für das Leben und die Bewegungsfreiheit der Palästinenser ändert das Schließen dieser Lücke wie gesagt rein gar nichts, lediglich die Verkehrsführung wird sich den neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Das ausgeklügelte System der hierarchisch abgestuften ID-Cards, der Genehmigungen und Arbeitserlaubnisse hat die Bewegungsfreiheit der Palästinenser bereits so stark eingeengt, dass diese 20 Meter nun auch nichts mehr ausmachen.

Es war einfach ein sehr emotionaler Moment, zuzusehen, wie diese Lücke in der schier unüberwindbaren Mauer, die ich in den letzten drei Monaten dutzende Male passiert habe, nun geschlossen wurde.


Keine Stunde später saßen wir mit einem Pappbecher Milchkaffee im Restaurantbereich einer riesigen Shopping Mal in West-Jerusalem und warteten auf unseren Bus. Rings um uns herum eine bunte, von Neon-Reklame beleuchtete und von MTV beschallte Konsumwelt, in der junge Menschen in olivgrünen Uniformen shoppen, essen, herumalbern, flirten, auf ihre Busse warten.


Nichts, aber auch gar nichts, erinnert an die andere Welt, die nur 15 Kilometer entfernt existiert und die so komplett anders ist. Ob den Menschen, die hier ihr westliches Industrienationenleben leben bewusst ist, das es diese andere Welt gibt?

Wahrscheinlich schon, aber vermutlich blenden sie es aus, geht ja auch nicht anders, sonst würde man verrückt werden...

Vielleicht sollte man mal die Durchsagen, die an den Checkpoints ständig in schlechtem Arabisch durch die knarzenden Lautsprecher gebellt werden auf Hebräisch durch die Lautsprecher eines solchen Einkaufzenrums schicken:

EINER NACH DEM ANDEREN! AUSWEIS! STOP! WEITER! NA LOS, VERPISS DICH! EINER NACH DEM ANDEREN! AUSWEIS! STOP! TASCHE IN DIE MASCHINE! PAPIERE! MACH SCHON! DER NÄCHSTE! AUSWEIS! HE DU IM ROTEN PULLI, VERSCHWINDE HIER! WEG DA! EINER NACH DEM ANDEREN! AUSWEIS!

Ich glaube nicht, dass die für ihre Hamburger und Milchshakes anstehenden Kunden eine solche Behandlung als angenehm empfinden würden.



Niemond hod die Obsüschd eine Mauer zu errischdn...

Was die Mauer, oh, pardon: den Sicherheitszaun anbelangt, so scheint ja immer noch die Meinung vorzuherrschen, es ginge bei dem ganzen Aufwand um Sicherheit vor Terroranschlägen. Mag, sein, dass das mit eine Rolle spielt, aber in erster Linie geht es darum, demographische und territoriale Fakten zu schaffen und den Zugang ins israelische Kernland zu kontrollieren. Bei der Gelegenheit werden dann noch gleich die fruchtbarsten Böden, die größten Siedlungsblöcke und die ergiebigsten unterirdischen Wasserreservoirs der West Bank dem israelische Kernland einverleibt. Alles im Namen der Sicherheit, versteht sich!

Prinzipiell wäre ja gar nichts gegen eine Mauer einzuwenden, wenn sie denn auch nur annähernd entlang der grünen Linie verlaufen würde. Nach dem Motto: Macht ihr euern Staat, wir machen unseren und in 20 Jahren gucken wir mal, ob wir wieder miteinander können. Dem ist aber nicht so. Die Besatzung und Besiedelung des Westjordanlandes wird nämlich nach wie vor auch östlich der Mauer aufrechterhalten.


Einen Besuch wert ist auf jeden Fall die offizielle Sicherheitszaun-Homepage des israelischen Verteidigungsministeriums. Ein gutes Beispiel dafür, dass die israelische Öffentlichkeitsarbeit um ein vielfaches ausgeklügelter, besser und proffessioneller ist, als die palästinensische.

Sehr zu empfehlen ist auch das Aufklärungs- bzw. Werbe-Video, welches man auf der Seite runterladen kann. Dort wird durchaus kritisch nach Sinn und Zweck der Mauer, quatsch: des Sicherheitszaunes gefragt, aber letzendlich bewerben sie die Mauer, als sei es eine neue Zahnpasta. Abgesehen davon behaupten sie in dem Video, lediglich 3% des Zaunes bestünden "aus einer soliden Betonkonstruktion".

Ich bin ja nun doch schon ein kleines bisschen in der West Bank rumgekommen. Mein Eindruck ist allerdings, dass man ständig und überall die Mauer und nur sehr selten einen Zaun sieht.




Um der offiziellen Sicherheits-Propaganda was entgegen zu setzen sei an dieser Stelle auf die israelische Menschenrechtsorganisation B´tselem hingewiesen. Auf deren Website findet man nämlich allerhand Informationen, die mit der offiziellen Version zu Sinn und Zweck der Mauer ganz und gar nicht zusammen passen.

Weitere Informationen zum anti-islamistischen Schutzwall bieten beispielsweise STOP THE WALL , thewallofhate und JMCC.

Gush Shalom gehen auf ihrer Seite direkt auf die angeblich so edlen Absichten der Mauer ein und entlarven die Argumente der Mauerbefürworter, die Mauer sei nur für die Sicherheit, habe die Anzahl der Selbstmordattentate drastisch reduziert und sei überhaupt nur eine temporäre Maßnahme. Außerdem bieten sie eine hervorragende Broschüre als PDF zum download an, in der sie den Sinn und Zweck der Mauer auf eine einfache Formel bringen:

So viel Land wie möglich und so wenig Palästinenser wie möglich Israel einzuverleiben.

Aber alle Informationen, Bilder und Karten können einem keinen Eindruck davon vermitteln, was die Mauer im alltäglichen Leben für Auswirkungen hat. Am besten ist es natürlich, einfach selber hin zu fahren und sich die Ausmaße und -wirkungen der Mauer mal persönlich anzusehen. Dazu muss man nicht einmal in die palästinensischen Autonomiegebite, falls einem das zu gefährlich ist.

Es reicht in Jerusalem einen Spaziergang auf der historischen Stadtmauer zu machen und einfach mal nicht, wie alle Touristen in Richtung Altstadt und Klagemauer zu gucken, sondern den Blick leicht Richtung Süd-Osten zu drehen...



Dann sieht man, wie sich das bis zu 8 Meter hohe graue Ungetüm durch die hügelige Landschaft schlängelt und auf seinem Weg Nachbarn voneinander trennt.

Sonntag, April 9

Der Wahnsinn wohnt in Hebron

Ramallah, 25. März 2006

Weil man, wenn man den ganzen Wahnsinn der Besatzung auch nur annähernd verstehen will Hebron gesehen haben muss, brachen Sonja und ich an einem sonnigen Samstag Vormittag auf, um diese zweigeteilte Stadt zu besuchen. Diesmal ging es mit einem arabischen Taxi direkt von Ramallah nach H1, den palästinensischen Teil der Stadt. H2, das ist der Stadtteil unter israelischer Kontrolle, hatte ich einige Wochen zuvor schon mit "breaking the silence" besucht.

(Kann man hier nachlesen...)

Das Sammeltaxi brauchte Stunden, denn es ging wieder im großen Bogen um die annektierten Siedlungsblöcke von Ma´ale Adumin östlich von Jerusalem außenrum, an Bethlehem vorbei, in den südlichen Teil der West Bank.

Hier ist es zwar auch hügelig, es liegt aber insgesamt tiefer als Ramallah, statt Olivenhainen dominieren hier Weinberge die Landschaft. Vorbei an Siedlungen und arabischen Dörfern, die oft in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander liegen, bis zu einer Abzweigung, an welcher ein pittoresqer Wachturm über den Verkehr wacht.

Mir ist zwar bis heute nicht klar, was acht Kameras sehen können, was nicht auch zwei oder drei Kameras könnten, aber solange es "due to security measures" ist, wundert mich in diesem paranoiden Land gar nichts mehr.

In Hebron sind wir nach wenigen Minuten an einen der innerstädtischen Checkpoints am Eingang zur Altstadt gelangt, wo wir drei Mitarbeiter eines ökomenischen Friedensdienstes begegnet sind. Die drei arbeiten für eine christliche Organisation als neutrale Beobachter in Hebron, ihre Aufgabe ist es durch ihre Präsenz Übergriffe der Siedler zu verhindern oder doch zumindest zu protokollieren.

So begleiten sie beispielsweise palästinensische Kinder auf ihrem Schulweg, da diese dabei wiederholt von Siedlern attackiert wurden.

Wir warteten an einem der Stahltore darauf, dass die Siedler und ihre Militäreskorte sich auf den Weg zum Sabbat-Gebet in die Synagoge aufmachen. Denn statt - was der direkte und unumständlichere Weg wäre - direkt die große breite Straße im israelischen Teil der Stadt zur Synagoge zu laufen, lassen es sich die Siedler nicht nehmen, jeden Samstag durch die verwinkelten kleinen Gassen der arabischen Altstadt zur Synagoge zu latschen.

Dass für den Rest der Bevölkerung solange eine Ausgangssperre verhängt wird versteht sich von selbst.

Aber die Siedler kamen und kamen nicht, und so entschlossen wir uns nicht länger auf ihre Prozession zu warten, sondern einfach selbst durch die Altstadt in Richtung Synagoge und Moschee zu laufen. Beide Gotteshäuser befinden sich nämlich ironischerweise im selben Gebäude, da beide Religionen den dort beerdigten Stammvater Abraham (aka Ibrahim) verehren.

Die Altstadt von Hebron ist schön, nur etwas heruntergekommen und viele der Geschäfte wurden aufgegeben, weil einfach nicht genügend Kunden in diesen Teil der Stadt kommen. Was es hingegen reichlich gibt sind hochgefährliche Terroristen (hier links im Bild). Zum Glück werden diese von den netten Herren in olivgrün (hier rechts im Bild) im Zaum gehalten.



Der Rest der Stadt ist nicht weniger von der absurden Situation gekennzeichnet: da der Gemüsemarkt während der zweiten Intifada dicht gemacht wurde, wurde er kurzerhand auf eine der Hauptstraßen verlegt. An vielen Gemäuern und Türen zeugen die Einschläge von Gewehrsalven von den Kämpfen der letzten Jahre.

Am zentralen Sammeltaxiabfahrplatz steht ein großes, relativ neues Gebäude komplett leer, die Spuren an der Fassade sprechen eine deutliche Sprache. Dem Schild nach zu urteilen, befand sich dort auch das Büro der palästinensischen Tageszeitung Al-Ayyam, die unter anderem Thema meiner Recherchen in den letzten drei Monaten war.



Bei einem kurzen Besuch in einer Moschee konnte ich mich dann noch davon überzeugen, das die allgegenwärtigen weißen Plastikstühle wirklich allgegenwärtig sind. Auf was haben die Palästinenser eigentlich gesessen bevor es diese praktischen abwasch- und stapelbaren Balkonmöbel gab?



In den israelisch kontrollierten Teil der Stadt sind wir nicht gegangen, davon haben uns die drei christlichen Friedensaktivisten dringenst abgeraten. Am Sabbat als Goy durch H2 zu laufen käme einer Kamikaze-Mission gleich.

Nicht einmal die Typen vom Christian Peacemaker Team, die sonst wirklich hart im nehmen sind und immer an vorderster Front dazwischen gehen, wenn es kracht, trauen sich am Samstag dort rüber. Beschimpft, bespuckt und mit Steinen beworfen zu werden ist eine Sache, aber viele der militanten Siedler tragen Waffen und scheuen sich auch nicht, diese einzusetzen.

Also fuhren wir mit Einbrechen der Dunkelheit ins ach-so-ruhige-ach-so-normale Ramallah zurück, wo die Siedler nur ringsherum in ihren Trutzburgen und nicht mitten in der Stadt wohnen.



Zahlen, Daten, Fakten und kurzer geschichtlicher Überblick über den Wahnsinn von Hebron gibt es in meinem Bericht vom 8. März.

Mittwoch, April 5

Es kommt erstens anders und zweitens als man denkt

Ramallah, 25. März 2006

Es sollte eigentlich nur ein kurzer Ausflug nach Jericho und ans Tote Meer werden, aber es wurde eine 2 tägige Reise voller abrubten Wendungen und unerwarteten Überraschungen.

Wir nahmen ein Sammeltaxi ab Ramallah nach Jericho. Seit meinem letzten Besuch in Jericho wurde das Jordantal faktisch annektiert (siehe hier), was sich beispielsweise durch neue Checkpoints bemerktbar macht, welche nur Autos mit spezieller Genehmigung und einem speziellen gelben Schild in der Windschutzscheibe passieren dürfen.

In Jericho sind wir zum Kloster der Versuchung hochgekraxelt. Dort oben, in einer der Höhlen im Berg hat Jesus 40 Tage lang gefastet, wobei im irgendwann Satan höchstpersönlich erschien und ihn mittels einer Pizzalieferservicespeisekarte in Versuchung bringen wollte.


Als wir nach langem Aufstieg in der prallen Sonne endlich oben angekommen waren, wurde uns gesagt, dass das Kloster heute leider nicht zu besichtigen sei, denn der Pater ist nach Jerusalem gefahren und hat den Schlüssel mitgenommen. Schade, dann halt nicht, der Weg hat sich aber schon alleine wegen der fantastischen Aussicht auf das Jordantal gelohnt.

Zurück in Jericho haben wir bei Doktor David erstmal einen Liter frisch gepressten Orangensaft getrunken. Doktor David war eine tolle Erscheinung: er war nahezu maximalpigmentiert, ausgesprochen fett, sprach unzählige Sprachen, lachte gerne und viel, fütterte seine Ziegen mit Orangenschalen und hatte exakt so viele Zähne wie Augen. Nähmlich jeweils eins.


In der Innenstadt haben wir dann drei deutsche Backpacker getroffen, die in der Wüste übernachtet hatten und - wie wir - weiter ans Tote Meer wollten. Also alle zusammen in ein Sammeltaxi und raus aus der Stadt. Doch leichter gesagt als getan. Am südlichen Checkpoint, der den Ausgang aus Jericho Richtung Totes Meer bildet tobte gerade eine mittlere Straßenschlacht.

Die israelische Armee hatte in der Nacht zuvor per Hubschrauber einen Aktivisten der Al-Aqsa-Brigaden liquidiert und die Shebab (Jugendlichen) von Jericho hatte sich nun vor dem Checkpoint versammelt, um ihrer Wut Luft zu machen. Das erklärte auch die schwarzen Rauchschwaden, die wir den ganzen Tag über der Stadt gesehen haben. Das erklärte auch die Hubschrauber, die die anderen drei die ganze Nacht in der Wüste gehört hatten.

Vermummte Kinder und Jugendliche rannten mit ihren Steinschleudern umher, überall brannten Barrikaden und Autoreifen und die Straße zum Checkpoint war dementsprechend unpassierbar. Hin und wieder mischte sich zu dem schwarzen Rauch der Autoreifen der weiße Rauch der Tränengasgranaten, die die israelischen Soldaten vom Checkpoint aus abfeuerten, um sich die Steineschmeißer vom Leib zu halten.

Unser Taxifahrer weigerte sich diese Szenerie zu passieren, es sei zu gefährlich, wir sollten doch besser in Jericho bleiben, bis sich die Situation beruhigt hätte.

Als bibelfester Atheist fiel mir da eine passende Bibelstelle ein:

Die Ammoniter aber waren ausgezogen und stellten sich zum Kampf auf vor dem Tor der Stadt. Die Könige aber, die gekommen waren, standen für sich auf freiem Feld. Als nun Joab sah, dass vor und hinter ihm sich der Kampf gegen ihn richtete, erwählte er aus der ganzen jungen Mannschaft in Israel einen Teil und stellte sich gegen die Aramäer. Und sie gingen weg und man berichtete David über die Männer. Er aber sandte ihnen entgegen, denn die Männer waren sehr geschändet. Und der König ließ ihnen sagen: Bleibt in Jericho bis euer Bart gewachsen ist; dann kommt zurück. (1Chr 19,5 und 19,9)

Weil wir aber heute noch ans Tote Meer wollten, heuerten wir einen anderen Taxifahrer an, der bereit war uns durch diese Miniatur-Intifada hindurch zu fahren. Also fuhren wir zu sechst in einem Uralt-Mercedes etwa 20 Meter neben der verbarrikadierten Straße durch die steinige Landschaft, links von uns ruhten sich die Vermummten im Schatten von großen Straßenschildern aus und zerbrachen Steine in munitionsgerechte Brocken, alles war voller Qualm und hin und wieder kam im hohen Bogen eine Tränengasgranate angeflogen. Die Jungs hatten nicht einmal die Chance in Wurfweite der Soldaten zu gelangen, weil die Reichweite der Granaten ein vielfaches der Reichweite einer Steinschleuder betrug.

Nach einigen Minuten holpriger Fahrt im Schritttempo kamen wir zum Checkpoint, wo einige Soldaten, die kaum älter als die ältesten Jungs auf der anderen Seite waren, lässig an einem Jeep lehnten und die Gegenseite im Auge behielten.

Der Taxifahrer konnte uns leider auch nur bis zum nächsten Checkpoint am Toten Meer fahren, für das Gebiet dahinter hatte er keine Permission. An diesem Checkpoint gab uns ein Soldat dann noch den weisen Rat, doch in Zukunft keine palästinensischen, sondern lieber israelische Taxis zu benutzen, das sei sicherer. Tscha, für ihn vielleicht! Für jeden Menschen dieser Welt, der nicht der israelischen Besatzungsarmee angehört, ist ein palästinensisches Taxi ein sicheres, zuverlässiges und preisgünstiges Transportmittel...

Weiter ging es zu Fuß mehrere Stunden entlang des Toten Meeres, bis wir letztendlich eine Bucht erreichten, in der man ohne Eintritt zu zahlen baden konnte und wo es eine heiße Schwefelquelle gab, die zwar extrem nach faulen Eiern stank, darin zu baden aber sehr entspannend war.


Gegen abend wollten Sonja und ich dann weiter zu dem israelischen Badeort En Gedi, der nach Auskunft eines Israeli, der auch in der besagten Bucht war nur 2-3 Kilometer weiter die Straße lang liegt. Er hatte sich nur leider leicht verschätzt. Denn nach einer Stunde Fußmarsch war noch immer weit und breit kein En Gedi in Sicht.

Und Trampen gestaltete sich als sehr schwierig, denn die wenigen Autos, die vorbei kamen, weigerten sich beharrlich zwei verdächtig aussehende Europäer in Badesachen mitzunehmen.
In En Gedi dann die böse Überraschung: Es fuhren keine Busse mehr nach irgendwo, sprich wir waren gestrandet, verloren, schiffbrüchig sozusagen mit nichts als dem Salz auf unserer Haut und nassen Handtüchern in der Tasche.

Aber wenigstens reichte das gelb noch für Bier und Papp-Sandwiches vom Kiosk. Dann plötzlich fuhr ein VW-Bus an uns vorbei, der doch tatsächlich Berliner Nummernschilder hatte. Drinnen saßen zwei Israelis. Dwell, der an der Rummelsburger Bucht in einer Wagenburg wohnt, war mit der Kiste von Berlin aus über den Balkan und die Türkei, per Fähre über Zypern nach Israel gefahren und tuckerte nun mit Mika, einer Freundin, die in New York lebt durch das Land.


Die beiden luden uns zum Essen ein, wir brachten das Bier mit, zum Nachtisch gab es Mika´s Special, ein Cocktail aus Erdbeeren, frischer Minze, Arak und Grapefruitsaft. Sehr zu empfehlen!

Die Nacht verbrachten wir in einer Hängematte zu zweit in einem Schlafsack. Beides hatten uns Dwell und Mika netterweise zur Verfügung gestellt. Geweckt wurden wir von der rotglühenden Sonne, die über den jordanischen Bergen aufging.

Es tat sehr gut auch mal solche Israelis kennen zu lernen, mit denen man sowohl über privates als auch über politisches diskutieren konnte und die beide die Politik ihres Heimatlandes alles andere als toll fanden. Auf die bevorstehenden Wahlen angesprochen meinten sie nur, dass sie beide noch nie gewählt hätten, höchstens mal ungültig. "Wen sollten wir denn wählen, keine einzige Partei stellt die Besatzung grundlegend in Frage."

Beide hatten den Militärdienst verweigert, sind extrem weltlich und hielten den Zionismus für eine per se rassistische Ideologie. Ich bin extrem froh, die beiden kennengelernt zu haben, denn sie haben mein Bild von den Israelis wieder gehörig gerade gerückt. Klar wusste ich auch vorher, dass es Unmengen von Israelis gibt, die mit der ganzen Kacke, die hier abläuft nicht einverstanden sind. Nur hatte ich sie bisher nicht persönlich getroffen. Die einzigen Israelis, die man in der Westbank zu Gesicht bekommt, sind gehirngewaschene Soldaten und fanatische national-religiöse Siedler.

Und selbst in einem so idyllischen Badeort wie En Gedi kann man den Konflikt nicht ausblenden, selbst wenn man sich bemüht:
Die Mülltonnen werden von Palästinensern geleert, die Bänke im Schatten der Palmen werden von Palästinensern gestrichen, an der Tanke arbeiten Palästinenser und hin und wieder kommt ein Bus voller Siedlerkinder mitsamt Waffen und Kippa tragenden Begleitpersonen an.

Nach einem gemeinsamen Frühstück waren wir noch ein paar Stunden baden, haben die salzverkrusteten Uferlandschaften bewundert und sind stundenlang in der Sonne rumgelegen.



Das Tote Meer ist der absolute Hammer, man kann sich reinlegen wie in einen Liegestuhl, man kann die Armee hinter dem Kopf verschränken und sich im wahrsten Sinne des Wortes treiben lassen.


Dann haben wir irgendwann den Bus nach Jerusalem genommen und waren rechtzeitig zum Sonnenuntergang wieder am altvertrauten Qaladya-Checkpoint, dem Tor in die andere Welt.


Zu Hause wurden wir schon sehnsüchtig erwartet, meine Mitbewohner hatten sich schon Sorgen gemacht. Ich habe versucht, sie zu verarschen, indem ich behauptete, wir hätten die Nacht in Jericho im Knast verbracht, aber Ernst durchschaute den Schwindel: "Das Gefängnis von Jericho gibt es doch gar nicht mehr..."

Da hat er vollkommen Recht: Die Trümmer von dem, was mal das Gefängnis und die angrenzende Polizeistation war, haben wir bei unserer Fahrt aus der Stadt heraus selbst gesehen.

Sonntag, April 2

Soldaten zu Pflugscharen!

Ramallah, 23. März 2006

Zunächst einmal eine kleine, für die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit der Palästinenser beispielhafte Anekdote: mein Handy, welches ich letzten Dienstag Abend im Taxi hab liegen lassen wieder aufgetaucht – es lag eines morgens vor meiner Zimmertür auf meinem Schuh. Der Taxifahrer hat es gefunden, sich an den komischen Deutschen und wo er ihn raus gelassen hat erinnert und hat die Mobilgurke früh morgens hier vorbei gebracht.

Zum anderen ist Sonja am Freitag Abend eingetroffen (was mich ungleich mehr erfreut hat als mein Steinzeit-Nokia wieder zu haben) und wir waren die letzten Tage ständig unterwegs, damit sie Palästina, das Land, die Leute mitsamt dem alltäglichen Wahnsinn, der hier abläuft, kennen lernt.

Nach einigen Tagen Bummeln durch Jerusalem und einem Tagesausflug nach Bethlehem, wo wir paranoide israelische Soldaten (nichts neues!) an Rahels Grab und einen schwulen christlichen palästinensischen Frisör (was ganz neues!) in der Geburtskirche getroffen haben, wollten wir am Mittwoch nach Nablus fahren. Doch einfacher gesagt als getan:

Nach ein paar Kilometern Taxifahrt in einem Uralt-Mercedes zusammen mit einer österreichisch sprechenden Palästinenserin und ihrem kleinen Sohn („Setz dich da her, Schätzele!“) kamen wir an den Checkpoint nördlich von Birzeit, der den Zugang zur israelisch kontrollierten Landstraße bildet.

Oder besser gesagt: wir kamen an den Stau, der sich vor selbigen gebildet hatte. Am Checkpoint standen vier Soldaten, die sich partout weigerten auch nur irgendjemanden durchzulassen. Wir sind raus, an der Schlange der ineinander verkeilten, weil zum Wenden gezwungenen Autos mitsamt ihren angespannten und genervten oder in aller Ruhe am Straßenrand ausharrenden Insassen vorbei gelaufen.


An der Straßensperre habe ich einen der Soldaten gefragt, was denn hier los sei, ob es irgendein Problem gäbe.

"Hier kommt heute niemand durch, nur Frauen und Kinder und Männer unter 16 und die auch nur zu Fuß, Autos dürfen nicht durch!", lautete die ebenso knappe wie unzureichende Antwort.

„Und warum das ganze? Gibt es irgendeinen Grund?“

„Wir suchen drei Männer.“

Ich habe ihm und den anderen olivgrünen Vollidioten erklärt, dass wir in einem Taxi mit zwei österreichischen Staatsbürgern und vier Palästinensern, die deutlich über 16 sind sitzen, dass wir einen Termin an der Universität von Nablus haben (was nicht mal gelogen war) und das sie uns gerne durchsuchen dürften, ob einer der drei Gesuchten in unserem Taxi sitzt und wenn nicht, können sie uns doch durchlassen.

Aber es gab nichts zu verhandeln, letztendlich durften nur Sonja und ich und die Palästinenserin mit dem österreichischen Pass und ihr Sohn durch. Alle anderen, insgesamt locker über 100 Personen, die das Pech hatten nur palästinensische IDs zu besitzen wurden von 4 Halbstarken an der Weiterfahrt gehindert. Dem Taxifahrer haben wir trotzdem den vollen Preis bezahlt, schließlich kann er ja nichts dafür, dass die Besatzungsmacht heute mal keine Lust hat Autos aus Birzeit raus zu lassen. Schließlich hatte er durch die Totalsperrung schon genügend Umsatzeinbußen.

Man muss sich einfach mal vorstellen, was diese tagtägliche und absolut willkürliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit bedeutet. Besatzung „light“ gibt es nicht, auch wenn die israelische Regierung versucht, der internationalen Öffentlichkeit dies zu verklickern. Besatzung bedeutet beispielsweise, dass die Armee jederzeit ohne Angabe von Gründen ganze Städte von der Außenwelt abschneiden kann. Termine darf man da keine machen. Jeder Checkpoint ist – sofern man überhaupt durchkommt – wie ein Grenzübergang zwischen zwei Staaten. Kann aber auch sein, dass man einfach durchgewunken wird. Der Weg zur Arbeit, zur Uni, zu Verwandten oder die Fahrt ins Krankenhaus werden zu einer unkalkulierbaren Reise, es kann mal ne halbe Stunde, mal 4 Stunden dauern, es kann aber auch sein, dass man gar nicht durchkommt. Und alles wegen vier jungen Männern mit Maschinengewehren, die an der Kreuzung stehen und Ausländern irgendwas von Zielfahndung erzählen.

Den Palästinensern gegenüber sagen sie gar nichts. Ein alter Mann, der den Soldaten die Röntgenbilder seiner vierjährigen Tochter zeigte, die mit gebrochenem Arm in seinem Auto saß haben sie nicht eines Blickes gewürdigt.

Um eines klarzustellen: Eigentlich will ich in diesem Blog nicht auf israelische Soldaten schimpfen, sondern über meine Erlebnisse in Palästina schreiben. Nur: das eine geht nicht ohne das andere, die Soldaten drängen sich einem tagtäglich auf. Wenn man sich in der West Bank auch nur von einer Stadt in die Nachbarstadt bewegen möchte, wird man zwangsläufig mit diesen gehirngewaschenen Knalltüten konfrontiert. Es kann sein, dass man auf einer Strecke von 30 Kilometern drei Checkpoints überqueren muss. Und jedes Mal die gleiche Prozedur, die gleichen dummen Fragen und das gleiche ungleiche Kräfteverhältnis.

Nachdem wir zu Fuß über den Checkpoint gegangen waren, mussten wir eine Weile auf ein anderes Taxi warten und konnten solange zusehen, wie ein Jeep mit zwei Soldaten diejenigen zurückschickte, die querfeldein auf die Landstraße zu gelangen versuchten. Auf unserem Weg nach Nablus hatten wir dann noch zwei weitere Checkpoints, an einem mussten alle Männer, ich inklusive, aussteigen. Warum? Konnte mir keiner der drei unterbelichteten Helmträger plausibel erklären.

In Nablus selbst herrschte wie immer eine relaxte und gemütliche Atmosphäre, und weil es in Nablus keine Touristen gibt, wird man auch nicht von geschäftstüchtigen Händlern bequatscht. Im Gegenteil: die Händler sitzen grinsend vor ihren Läden und warten, dass die Kundschaft sie anspricht.


In der Altstadt sieht man an vielen Stellen die Spuren der allnächtlichen Schießerein. Da die Altstadt mehrmals die Woche von der Armee durch- bzw. heimgesucht wird, sind viele Stellen an Mauern, Türen und so weiter von Salven durchlöchert.

Das Interview mit dem Medienprofessor an der Najah-Universität war nicht wirklich ergiebig, aber dennoch sehr interessant, die Kinder rissen sich ums fotografiert werden und die Altstadt mit ihren verwinkelten Souk-Gassen war auch bei meinem dritten Besuch in der Stadt faszinierend.

Es ist ein Jammer, dass es keine Touristen oder sonstige internationale Besucher in den palästinensischen Städten gibt. Was ja auch kein Wunder ist, bei dem, was man so im fernen Europa durch die Nachrichten mitbekommt. Nur dass es neben ein paar dutzend bewaffneten Milizen auch noch 3,5 Millionen extrem gastfreundliche, herzliche und weltoffene Menschen hier gibt, bekommt man da nicht mit.

Auf dem Rückweg nach Ramallah war wieder stundenlanges Warten an was-weiss-ich wievielen Checkpoints angesagt. An einem der großen müssen die Fahrer ca. 20 Meter vor dem Sandsackgesäumten Kabuff halten, aussteigen und die ID-Cards der Insassen abgeben, dann zurück ins Fahrzeug gehen und auf das Handzeichen des Soldaten warten.

Als alle ID-Cards und unsere beiden Reisepässe überprüft waren und wir dann vorfahren durften, klopfte einer der Soldaten ans Fenster und hielt uns unsere Pässe hin.

Dann die üblichen dummen Fragen woher wir sind (er hatte unsere Pässe bereits eingehend studiert, in denen das Land, welches sie ausstellt in 10 verschiedenen Sprachen benannt ist und er sprach fließend Englisch), woher wir kommen und wohin wir wollen (beides hatte der Fahrer ihm vor 30 Sekunden gesagt).

„We are coming from Nablus and we are going to Ramallah“ antwortete ich mit einer deutlich genervten Stimme.

„Okay, have a nice day in Israel!“ war seine Antwort, als er und die Pässe überreichte.

„Wir sind hier in Palästina, verpiss dich nach Israel, statt hier Leute zu drangsalieren!“ waren meine Gedanken, als wir endlich passieren durften.

Offensichtlich sah der Herr Soldat die Westbank als integralen Bestandteil seines Staates an. Muss er ja auch, sonst müsste er sich selbst ja ernsthaft fragen, was er hier eigentlich macht. Insofern ist es wohl einfacher, sich in die warme Badewanne der Gehirnwäsche zu legen, anstatt mal kritisch über die Rolle der Armee, für die man arbeitet nachzudenken.

Denn anstatt die Außengrenzen ihres Landes zu schützen, was ja eigentlich die Aufgabe einer Armee sein sollte, besetzt diese Armee ein anderes Land, was wiederum - wie wir alle seit Jahrzehnten mitbekommen - ein erhebliches Sicherheitsrisiko für das eigentlich zu schützende Land darstellt.



Ich wurde neulich gefragt, warum ich eigentlich den israelischen Soldaten so viele böse Worte widme und nie über palästinensische Soldaten schreibe.

Die Antwort ist ebenso kurz wie einfach: Es gibt keine palästinensischen Soldaten.

Weil Palästina kein Staat ist, hat es auch keine Armee. Es gibt nur Polizisten und sogenannte Sicherheitskräfte, eine ca. 30.000 Mann starke offizielle Miliz sozusagen.

Die Sache ist nur: diese palästinensischen Uniformträger belästigen einen im Gegensatz zu den israelischen Soldaten nicht. Sie fragen nicht nach Ausweisen, sie blockieren keine Straßen, sie machen keine Razzien in Privathäusern, sie schießen nicht auf Kinder, sie durchsuchen nicht mißtrauisch Gepäck und Fahrzeuge und sie fahren keine Panzer, sondern Toyota.

Sie lungern einfach nur den lieben langen Tag an strategisch wichtigen Punkten herum, trinken Kaffe und rauchen non-stop, tragen ihre Kalaschnikovs spazieren und spielen Dick und Doof.


Mehr als ästethische Kritik bezüglich Kleidung, Schnurbart und der Wahl des Fahrzeugs gibt es an denen beim besten Willen nicht auszusetzen...