Ramallah, 23. März 2006
Zunächst einmal eine kleine, für die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit der Palästinenser beispielhafte Anekdote: mein Handy, welches ich letzten Dienstag Abend im Taxi hab liegen lassen wieder aufgetaucht – es lag eines morgens vor meiner Zimmertür auf meinem Schuh. Der Taxifahrer hat es gefunden, sich an den komischen Deutschen und wo er ihn raus gelassen hat erinnert und hat die Mobilgurke früh morgens hier vorbei gebracht.
Zum anderen ist Sonja am Freitag Abend eingetroffen (was mich ungleich mehr erfreut hat als mein Steinzeit-Nokia wieder zu haben) und wir waren die letzten Tage ständig unterwegs, damit sie Palästina, das Land, die Leute mitsamt dem alltäglichen Wahnsinn, der hier abläuft, kennen lernt.
Nach einigen Tagen Bummeln durch Jerusalem und einem Tagesausflug nach Bethlehem, wo wir paranoide israelische Soldaten (nichts neues!) an Rahels Grab und einen schwulen christlichen palästinensischen Frisör (was ganz neues!) in der Geburtskirche getroffen haben, wollten wir am Mittwoch nach Nablus fahren. Doch einfacher gesagt als getan:
Nach ein paar Kilometern Taxifahrt in einem Uralt-Mercedes zusammen mit einer österreichisch sprechenden Palästinenserin und ihrem kleinen Sohn („Setz dich da her, Schätzele!“) kamen wir an den Checkpoint nördlich von Birzeit, der den Zugang zur israelisch kontrollierten Landstraße bildet.
Oder besser gesagt: wir kamen an den Stau, der sich vor selbigen gebildet hatte. Am Checkpoint standen vier Soldaten, die sich partout weigerten auch nur irgendjemanden durchzulassen. Wir sind raus, an der Schlange der ineinander verkeilten, weil zum Wenden gezwungenen Autos mitsamt ihren angespannten und genervten oder in aller Ruhe am Straßenrand ausharrenden Insassen vorbei gelaufen.
An der Straßensperre habe ich einen der Soldaten gefragt, was denn hier los sei, ob es irgendein Problem gäbe.
"Hier kommt heute niemand durch, nur Frauen und Kinder und Männer unter 16 und die auch nur zu Fuß, Autos dürfen nicht durch!", lautete die ebenso knappe wie unzureichende Antwort.
„Und warum das ganze? Gibt es irgendeinen Grund?“
„Wir suchen drei Männer.“
Ich habe ihm und den anderen olivgrünen Vollidioten erklärt, dass wir in einem Taxi mit zwei österreichischen Staatsbürgern und vier Palästinensern, die deutlich über 16 sind sitzen, dass wir einen Termin an der Universität von Nablus haben (was nicht mal gelogen war) und das sie uns gerne durchsuchen dürften, ob einer der drei Gesuchten in unserem Taxi sitzt und wenn nicht, können sie uns doch durchlassen.
Aber es gab nichts zu verhandeln, letztendlich durften nur Sonja und ich und die Palästinenserin mit dem österreichischen Pass und ihr Sohn durch. Alle anderen, insgesamt locker über 100 Personen, die das Pech hatten nur palästinensische IDs zu besitzen wurden von 4 Halbstarken an der Weiterfahrt gehindert. Dem Taxifahrer haben wir trotzdem den vollen Preis bezahlt, schließlich kann er ja nichts dafür, dass die Besatzungsmacht heute mal keine Lust hat Autos aus Birzeit raus zu lassen. Schließlich hatte er durch die Totalsperrung schon genügend Umsatzeinbußen.
Man muss sich einfach mal vorstellen, was diese tagtägliche und absolut willkürliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit bedeutet. Besatzung „light“ gibt es nicht, auch wenn die israelische Regierung versucht, der internationalen Öffentlichkeit dies zu verklickern. Besatzung bedeutet beispielsweise, dass die Armee jederzeit ohne Angabe von Gründen ganze Städte von der Außenwelt abschneiden kann. Termine darf man da keine machen. Jeder Checkpoint ist – sofern man überhaupt durchkommt – wie ein Grenzübergang zwischen zwei Staaten. Kann aber auch sein, dass man einfach durchgewunken wird. Der Weg zur Arbeit, zur Uni, zu Verwandten oder die Fahrt ins Krankenhaus werden zu einer unkalkulierbaren Reise, es kann mal ne halbe Stunde, mal 4 Stunden dauern, es kann aber auch sein, dass man gar nicht durchkommt. Und alles wegen vier jungen Männern mit Maschinengewehren, die an der Kreuzung stehen und Ausländern irgendwas von Zielfahndung erzählen.
Den Palästinensern gegenüber sagen sie gar nichts. Ein alter Mann, der den Soldaten die Röntgenbilder seiner vierjährigen Tochter zeigte, die mit gebrochenem Arm in seinem Auto saß haben sie nicht eines Blickes gewürdigt.
Um eines klarzustellen: Eigentlich will ich in diesem Blog nicht auf israelische Soldaten schimpfen, sondern über meine Erlebnisse in Palästina schreiben. Nur: das eine geht nicht ohne das andere, die Soldaten drängen sich einem tagtäglich auf. Wenn man sich in der West Bank auch nur von einer Stadt in die Nachbarstadt bewegen möchte, wird man zwangsläufig mit diesen gehirngewaschenen Knalltüten konfrontiert. Es kann sein, dass man auf einer Strecke von 30 Kilometern drei Checkpoints überqueren muss. Und jedes Mal die gleiche Prozedur, die gleichen dummen Fragen und das gleiche ungleiche Kräfteverhältnis.
Nachdem wir zu Fuß über den Checkpoint gegangen waren, mussten wir eine Weile auf ein anderes Taxi warten und konnten solange zusehen, wie ein Jeep mit zwei Soldaten diejenigen zurückschickte, die querfeldein auf die Landstraße zu gelangen versuchten. Auf unserem Weg nach Nablus hatten wir dann noch zwei weitere Checkpoints, an einem mussten alle Männer, ich inklusive, aussteigen. Warum? Konnte mir keiner der drei unterbelichteten Helmträger plausibel erklären.
In Nablus selbst herrschte wie immer eine relaxte und gemütliche Atmosphäre, und weil es in Nablus keine Touristen gibt, wird man auch nicht von geschäftstüchtigen Händlern bequatscht. Im Gegenteil: die Händler sitzen grinsend vor ihren Läden und warten, dass die Kundschaft sie anspricht.
In der Altstadt sieht man an vielen Stellen die Spuren der allnächtlichen Schießerein. Da die Altstadt mehrmals die Woche von der Armee durch- bzw. heimgesucht wird, sind viele Stellen an Mauern, Türen und so weiter von Salven durchlöchert.
Das Interview mit dem Medienprofessor an der Najah-Universität war nicht wirklich ergiebig, aber dennoch sehr interessant, die Kinder rissen sich ums fotografiert werden und die Altstadt mit ihren verwinkelten Souk-Gassen war auch bei meinem dritten Besuch in der Stadt faszinierend.
Es ist ein Jammer, dass es keine Touristen oder sonstige internationale Besucher in den palästinensischen Städten gibt. Was ja auch kein Wunder ist, bei dem, was man so im fernen Europa durch die Nachrichten mitbekommt. Nur dass es neben ein paar dutzend bewaffneten Milizen auch noch 3,5 Millionen extrem gastfreundliche, herzliche und weltoffene Menschen hier gibt, bekommt man da nicht mit.
Auf dem Rückweg nach Ramallah war wieder stundenlanges Warten an was-weiss-ich wievielen Checkpoints angesagt. An einem der großen müssen die Fahrer ca. 20 Meter vor dem Sandsackgesäumten Kabuff halten, aussteigen und die ID-Cards der Insassen abgeben, dann zurück ins Fahrzeug gehen und auf das Handzeichen des Soldaten warten.
Als alle ID-Cards und unsere beiden Reisepässe überprüft waren und wir dann vorfahren durften, klopfte einer der Soldaten ans Fenster und hielt uns unsere Pässe hin.
Dann die üblichen dummen Fragen woher wir sind (er hatte unsere Pässe bereits eingehend studiert, in denen das Land, welches sie ausstellt in 10 verschiedenen Sprachen benannt ist und er sprach fließend Englisch), woher wir kommen und wohin wir wollen (beides hatte der Fahrer ihm vor 30 Sekunden gesagt).
„We are coming from Nablus and we are going to Ramallah“ antwortete ich mit einer deutlich genervten Stimme.
„Okay, have a nice day in Israel!“ war seine Antwort, als er und die Pässe überreichte.
„Wir sind hier in Palästina, verpiss dich nach Israel, statt hier Leute zu drangsalieren!“ waren meine Gedanken, als wir endlich passieren durften.
Offensichtlich sah der Herr Soldat die Westbank als integralen Bestandteil seines Staates an. Muss er ja auch, sonst müsste er sich selbst ja ernsthaft fragen, was er hier eigentlich macht. Insofern ist es wohl einfacher, sich in die warme Badewanne der Gehirnwäsche zu legen, anstatt mal kritisch über die Rolle der Armee, für die man arbeitet nachzudenken.
Denn anstatt die Außengrenzen ihres Landes zu schützen, was ja eigentlich die Aufgabe einer Armee sein sollte, besetzt diese Armee ein anderes Land, was wiederum - wie wir alle seit Jahrzehnten mitbekommen - ein erhebliches Sicherheitsrisiko für das eigentlich zu schützende Land darstellt.
Ich wurde neulich gefragt, warum ich eigentlich den israelischen Soldaten so viele böse Worte widme und nie über palästinensische Soldaten schreibe.
Die Antwort ist ebenso kurz wie einfach: Es gibt keine palästinensischen Soldaten.
Weil Palästina kein Staat ist, hat es auch keine Armee. Es gibt nur Polizisten und sogenannte Sicherheitskräfte, eine ca. 30.000 Mann starke offizielle Miliz sozusagen.
Die Sache ist nur: diese palästinensischen Uniformträger belästigen einen im Gegensatz zu den israelischen Soldaten nicht. Sie fragen nicht nach Ausweisen, sie blockieren keine Straßen, sie machen keine Razzien in Privathäusern, sie schießen nicht auf Kinder, sie durchsuchen nicht mißtrauisch Gepäck und Fahrzeuge und sie fahren keine Panzer, sondern Toyota.
Sie lungern einfach nur den lieben langen Tag an strategisch wichtigen Punkten herum, trinken Kaffe und rauchen non-stop, tragen ihre Kalaschnikovs spazieren und spielen Dick und Doof.
Mehr als ästethische Kritik bezüglich Kleidung, Schnurbart und der Wahl des Fahrzeugs gibt es an denen beim besten Willen nicht auszusetzen...