Klagemauer und 8 Meter hohe Betonmauer mit Elektrozaun
Ramallah, 11. März
Nachdem ich die letzten paar Tage einen regelrechten Interviewmarathon hingelegt habe, habe ich mir heute einen freien Tag gegönnt und bin mal wieder nach Jerusalem gefahren.
Am Checkpoint Qalandya wird seit ungefähr einer Woche kräftig gebaut. Es sieht ganz danach aus, als würde ein neuer Übergang für die Autos gebaut. Bisher gibt es in jede Richtung nur eine Spur und die Autos müssen stundenlang warten. Die Bauarbeiten werden (natürlich) von Palästinensern durchgeführt. Deren Löhne sind eben deutlich geringer als die von israelischen Bauarbeitern.
So kommt es zu der paradoxen Situation, dass Palästinenser, um in der wirtschaftlich miserablen Lage, in der sie sich befinden wenigstens etwas Geld zu verdienen, die Checkpoints und die Mauer bauen, die sie selbst einsperren. Nebendran sitzen einige Soldaten und bewachen die Bauarbeiter.
Ich musste spontan an die Street-Gangs von Häftlingen in den Südstaaten denken: Eine große Anzahl Menschen der „niederen“ Ethnie führen schwere körperliche Arbeit aus, während eine Hand voll Menschen der herrschenden Ethnie sie mit Waffen im Anschlag beaufsichtigen und aufpassen, dass auch ja keiner aus der Reihe tanzt.
Wobei die Aufgabe des Bewachen offensichtlich nur von äthiopischen Juden ausgeführt wird. Denn selbst innerhalb der israelischen Gesellschaft gibt es eine Hierarchie zwischen Ashkenazi (Juden europäischer Herkunft), Sepharden (Juden orientalischer Herkunft) und eben den schwarzen Juden aus Äthiopien. Viktor, ein norwegischer Student an der Bir Zeit Universität, meinte neulich, in den israelischen Personalausweisen sei diese Zugehörigkeit vermerkt oder irgendwie codiert. Ob das stimmt, weiß ich nicht, ich konnte es noch nicht nachprüfen. Falls es jemand weiß, bitte mailen.
Jerusalem am Sonntag ist fast so verrückt wie am Freitag. Da war ich abends in der Altstadt und bin auf Anraten einer (jüdischen) Freundin zur Klagemauer gegangen. „Du musst mal am Freitag Abend an die Klagemauer gehen. Das ist wie im Zoo!“ hatte sie mir gesagt und ihre Beschreibung trifft es absolut auf den Punkt.
Freitag Abend, mit Einsetzen der Dämmerung beginnt der Sabbat. Da der jüdische Kalender ist – wie der islamische übrigens auch – ein lunarer Kalender ist, daher gehört die Nacht bereits zum folgenden Tag. Sobald es am Freitag dunkel wird beginnt also der Sabbat und hunderte Gläubige versammeln sich an der Klagemauer.
Drumherum, abgetrennt durch einen Zaun, stehe hunderte von Touristen und begaffen das Spektakel. Die Orthodoxen beten mit dem Oberkörper wippend an der Mauer, rezitieren aus der Thora und sehen in ihrer schwarzen Tracht mit den weißen Hemden aus wie eine Pinguinkolonie.
Aber das eigentlich faszinierende sind die Gläubigen, die nicht ganz so stocksteif und ernst sind. Die nämlich tanzen laut singend, die Arme auf die Schultern der Nebenmänner gelegt im Kreis, der sich immer wieder weitet und verengt. Es herrscht eine ausgelassene und fröhliche Atmosphäre, hinter der sich jeder Gospelchor verstecken kann.
Ein Gottesdienst, der Spaß macht, kein steifes, dogmatisches, diszipliniertes Rumgesitze auf harten Holzbänken.. Und wer grade keine Kippa dabei hat, setzt eben eine Baseballmütze oder die Kapuze seines Kapuzenpullis auf.
Aber zurück zum Sonntag: Im Christenviertel riecht es nach Weihrauch und auf der Via Dolorosa wimmelt es vor Christen-Touristen, die die Kreuzstationen abklappern, vor jedem eventuell heiligen Stein stehen bleiben, ihn berühren oder gar küssen (igitt!) und sich dabei gegenseitig fotografieren. Leider habe ich keine masochistischen Katholiken gesehen, die Holzkreuze auf dem Buckel durch die Stadt tragen, aber ich habe zumindest die Kreuze gesehen.
Die Händler in der Altstadt sind wie immer extrem aufdringlich, von überall tönt es „Welcome! Come into my shop, I got beautiful Kitsch/Ramsch/Nippes. Make you special good price me friend!“ Falls ich darauf überhaupt reagiere sage ich meistens: Ana misch sa´iha! - Ich bin kein Tourist. Das wirkt Wunder.
An der Klagemauer war ich auch wieder, ich bin eigentlich jedes mal dort, wenn ich in Jerusalem bin. Es ist einfach faszinierend, an diesem heiligen Ort zu sein und dem Treiben zu zuschauen.
Außerdem gibt es an der Klagemauer die einzigen sauberen Klos in ganz Jerusalem, die dazu noch gratis sind. Und von wem werden die Klos am höchsten jüdischem Heiligtum geputzt? Von Palästinensern.
Auf dem Weg zur Klagemauer bin ich durch das slumartige arabische Viertel östlich des Ölberges gelaufen, wo ich einige leicht aggressive Begegnungen mit Kindern und Halbstarken hatte, die mich entweder für einen Siedler, für einen Dänen oder einfach nur für jemanden der hier nichts zu suchen hat gehalten haben. Mit etwas small-talk und dem Erwähnen meiner Staatsbürgerschaft wurden diese Begegnungen aber schnell zu einem fröhlichen Aufzählen sämtlicher Bundesliga-Spieler und gemeinsamem Fußballspielen in den Engen Gassen.
Auf der anderen Seite des Hanges ist der Garten Davids. Dort soll König David sich zum Chillen hinbegeben haben, wenn er vom Regieren die Schnauze voll hatte. Zur Zeit werden dort weitere archäologische Ausgrabungen gemacht und, wie könnte es anders sein, die ersten Siedler haben dort Häuser bezogen, um möglichst nah an der ach-so-furchtbar-bedeutsamen Stelle zu wohnen.
Die Stadtverwaltung von Jerusalem hat in dem Gebiet 88 Häuser, in denen arabische Familien wohnen, zum Abriss frei gegeben, um einen große touristen-freundlichen archäologischen Erlebnispark (Gan Hamelech – Königsgarten) zu errichten. Die Abrisspläne erfolgen unter dem Vorwand, die Häuser seien illegal erbaut worden. (Was vollkommen richtig ist, denn Araber in Ost-Jerusalem erhalten seit 1968 keine Baugenehmigungen...)
Einer der rund 1000 vom Abriss betroffener Bewohner hat das Dilemma so ausgedrückt: „König David, der König der Juden, der Prophet der Moslems ging zum Ruhe finden auch nach da oben, zur Jaffa Road in West-Jerusalem; warum zerstören sie da keine Häuser? Der König starb, der Prophet starb, wir aber leben heute.“ Die Frage ist, was wichtiger ist: Ein bedeutender Mensch, der vor 3000 Jahren lebte, oder 1000 unbedeutende Menschen, die heute leben?
Anstatt auf direktem Wege zurück nach Ramallah zu fahren, habe ich einen Umweg über Abu Dis gemacht. Abu Dis ist ein arabischer Vorort süd-östlich von Jerusalem, der aber praktisch mit der Stadt zusammengewachsen ist. Hier verläuft die Mauer direkt zwischen den Häusern. Eine Straßenseite ist somit auf israelischer, die andere auf palästinensischer Seite.
Noch gibt es einen Übergang, an dem man über die Betonblöcke rüberklettern kann.
Dort habe ich mich lange mit zwei Mädels unterhalten, die auch gerade rüberkletterten. Beide wohnen in Ost-Jerusalem, haben also israelische Pässe, was ihnen zumindest mehr Bewegungsfreiheit ermöglicht als ihren Freundinnen, die auf der anderen Seite der Mauer wohnen. Beide besuchen eine Fachhochschule für medizinische Berufe in Abu Dis und klettern jeden Tag mehrmals über die schmale Passage in der Mauer.
In den nächsten paar Wochen wird aber auch diese Lücke geschlossen werden und dann werden sie mit dem Bus eine 10 Kilometer weite Strecke über den nächstgelegenen Checkpoint fahren müssen um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Freunde, Verwandte, die Schule, das Krankenhaus, die eigentlich nur 5 Minuten Fußmarsch entfernt sind rücken dann in weite Ferne.
Noch ist die Trennungsmauer nicht komplett fertig gestellt, es gibt unzählige Durchschlupfstellen und weite Strecken, an denen keinerlei Absperrungen vorhanden sind. Dennoch argumentieren die Befürworter der Mauer (oder "Sicherheitszaun", wie sie sie nennen) damit, dass die Zahl der Attentate in Israel seit Bau der Mauer deutlich zurück gegangen sei. Das ist vollkommen richtig.
Nur bin ich Sozialwissenschaftler genug, um mich zu fragen, ob diese beiden Variablen denn wirklich zusammenhängen. Sicherlich schreckt die Mauer ab und erschwert den Zugang nach Israel. Aber wer durchkommen will, der kommt auch durch. Die Attentate sind, soweit ich weiß, stark zurückgegangen, seit die Intifada zum Erliegen kam und die Hamas ihren einseitigen Waffenstillstand verkündet hat, weil sie ja als seriöse politische Kraft an den Wahlen teilnehmen wollte.
Mit Sicherheit bringt die Mauer Sicherheit. Zwar keine 100%ige, aber immerhin. Wenn die Mauer nur wegen der vermeintlichen Sicherheit gebaut werden würde und sich an der grünen Linie orientieren würde, wäre ja auch gar nichts dagegen einzuwenden. Die traurige Realität aber ist, dass die Mauer dazu dient die beiden Ethnien in diesem Land voneinander zu trennen, um eine, wie Ehud Olmert sagte "stabile und dauerhafte jüdische Bevölkerungsmehrheit zu sichern" und dabei unzählige palästinensische Städte und Dörfer zu Enklaven macht, die Bewohner von ihrer Infrastruktur, ihren Feldern und ihrenm sozialem Umfeld abschneidet.
Heute morgen habe ich auf dem Frühstückstisch ein Buch mit Bibelsprüchen entdeckt, welches meinen schweizer Mitbewohnern gehört. Beim Durchblättern fand ich zufällig einen Bibelvers, der, wie ich finde, sehr passend für die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit ist, die hier in dieser Region, die von Besatzung, Unterdrückung, Demütigung und ethnischer Trennung gekennzeichnet ist. Der Vers stammt aus dem zweiten Buch Mose, also aus dem alten Testament, welches die Grundlage für die Thora bildet. Der Vers lautet:
„Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken; denn ihr wisst um der Fremdlinge Herz, weil auch ihr Fremdlinge in Ägyptenland gewesen seid.“ 2. Mose 23,9
Da steht nicht: Weil ihr in Ägypten wie der letzte Dreck behandelt worden seid, sollt ihr die Fremdlinge auch wie den letzten Dreck behandeln. Vielleicht sollte man dass mal ein paar israelischen Politikern zur Kenntnissnahme zuschicken.
Ich jedenfalls habe mich wieder nach Hause begeben und war auf dem Heimweg überrascht, wie viel Stacheldraht in diesem Land doch herumliegen und bestimmte Areale für die Bevölkerung unzugänglich machen.
Nachdem ich die letzten paar Tage einen regelrechten Interviewmarathon hingelegt habe, habe ich mir heute einen freien Tag gegönnt und bin mal wieder nach Jerusalem gefahren.
Am Checkpoint Qalandya wird seit ungefähr einer Woche kräftig gebaut. Es sieht ganz danach aus, als würde ein neuer Übergang für die Autos gebaut. Bisher gibt es in jede Richtung nur eine Spur und die Autos müssen stundenlang warten. Die Bauarbeiten werden (natürlich) von Palästinensern durchgeführt. Deren Löhne sind eben deutlich geringer als die von israelischen Bauarbeitern.
So kommt es zu der paradoxen Situation, dass Palästinenser, um in der wirtschaftlich miserablen Lage, in der sie sich befinden wenigstens etwas Geld zu verdienen, die Checkpoints und die Mauer bauen, die sie selbst einsperren. Nebendran sitzen einige Soldaten und bewachen die Bauarbeiter.
Ich musste spontan an die Street-Gangs von Häftlingen in den Südstaaten denken: Eine große Anzahl Menschen der „niederen“ Ethnie führen schwere körperliche Arbeit aus, während eine Hand voll Menschen der herrschenden Ethnie sie mit Waffen im Anschlag beaufsichtigen und aufpassen, dass auch ja keiner aus der Reihe tanzt.
Wobei die Aufgabe des Bewachen offensichtlich nur von äthiopischen Juden ausgeführt wird. Denn selbst innerhalb der israelischen Gesellschaft gibt es eine Hierarchie zwischen Ashkenazi (Juden europäischer Herkunft), Sepharden (Juden orientalischer Herkunft) und eben den schwarzen Juden aus Äthiopien. Viktor, ein norwegischer Student an der Bir Zeit Universität, meinte neulich, in den israelischen Personalausweisen sei diese Zugehörigkeit vermerkt oder irgendwie codiert. Ob das stimmt, weiß ich nicht, ich konnte es noch nicht nachprüfen. Falls es jemand weiß, bitte mailen.
Jerusalem am Sonntag ist fast so verrückt wie am Freitag. Da war ich abends in der Altstadt und bin auf Anraten einer (jüdischen) Freundin zur Klagemauer gegangen. „Du musst mal am Freitag Abend an die Klagemauer gehen. Das ist wie im Zoo!“ hatte sie mir gesagt und ihre Beschreibung trifft es absolut auf den Punkt.
Freitag Abend, mit Einsetzen der Dämmerung beginnt der Sabbat. Da der jüdische Kalender ist – wie der islamische übrigens auch – ein lunarer Kalender ist, daher gehört die Nacht bereits zum folgenden Tag. Sobald es am Freitag dunkel wird beginnt also der Sabbat und hunderte Gläubige versammeln sich an der Klagemauer.
Drumherum, abgetrennt durch einen Zaun, stehe hunderte von Touristen und begaffen das Spektakel. Die Orthodoxen beten mit dem Oberkörper wippend an der Mauer, rezitieren aus der Thora und sehen in ihrer schwarzen Tracht mit den weißen Hemden aus wie eine Pinguinkolonie.
Aber das eigentlich faszinierende sind die Gläubigen, die nicht ganz so stocksteif und ernst sind. Die nämlich tanzen laut singend, die Arme auf die Schultern der Nebenmänner gelegt im Kreis, der sich immer wieder weitet und verengt. Es herrscht eine ausgelassene und fröhliche Atmosphäre, hinter der sich jeder Gospelchor verstecken kann.
Ein Gottesdienst, der Spaß macht, kein steifes, dogmatisches, diszipliniertes Rumgesitze auf harten Holzbänken.. Und wer grade keine Kippa dabei hat, setzt eben eine Baseballmütze oder die Kapuze seines Kapuzenpullis auf.
Aber zurück zum Sonntag: Im Christenviertel riecht es nach Weihrauch und auf der Via Dolorosa wimmelt es vor Christen-Touristen, die die Kreuzstationen abklappern, vor jedem eventuell heiligen Stein stehen bleiben, ihn berühren oder gar küssen (igitt!) und sich dabei gegenseitig fotografieren. Leider habe ich keine masochistischen Katholiken gesehen, die Holzkreuze auf dem Buckel durch die Stadt tragen, aber ich habe zumindest die Kreuze gesehen.
Die Händler in der Altstadt sind wie immer extrem aufdringlich, von überall tönt es „Welcome! Come into my shop, I got beautiful Kitsch/Ramsch/Nippes. Make you special good price me friend!“ Falls ich darauf überhaupt reagiere sage ich meistens: Ana misch sa´iha! - Ich bin kein Tourist. Das wirkt Wunder.
An der Klagemauer war ich auch wieder, ich bin eigentlich jedes mal dort, wenn ich in Jerusalem bin. Es ist einfach faszinierend, an diesem heiligen Ort zu sein und dem Treiben zu zuschauen.
Außerdem gibt es an der Klagemauer die einzigen sauberen Klos in ganz Jerusalem, die dazu noch gratis sind. Und von wem werden die Klos am höchsten jüdischem Heiligtum geputzt? Von Palästinensern.
Auf dem Weg zur Klagemauer bin ich durch das slumartige arabische Viertel östlich des Ölberges gelaufen, wo ich einige leicht aggressive Begegnungen mit Kindern und Halbstarken hatte, die mich entweder für einen Siedler, für einen Dänen oder einfach nur für jemanden der hier nichts zu suchen hat gehalten haben. Mit etwas small-talk und dem Erwähnen meiner Staatsbürgerschaft wurden diese Begegnungen aber schnell zu einem fröhlichen Aufzählen sämtlicher Bundesliga-Spieler und gemeinsamem Fußballspielen in den Engen Gassen.
Auf der anderen Seite des Hanges ist der Garten Davids. Dort soll König David sich zum Chillen hinbegeben haben, wenn er vom Regieren die Schnauze voll hatte. Zur Zeit werden dort weitere archäologische Ausgrabungen gemacht und, wie könnte es anders sein, die ersten Siedler haben dort Häuser bezogen, um möglichst nah an der ach-so-furchtbar-bedeutsamen Stelle zu wohnen.
Die Stadtverwaltung von Jerusalem hat in dem Gebiet 88 Häuser, in denen arabische Familien wohnen, zum Abriss frei gegeben, um einen große touristen-freundlichen archäologischen Erlebnispark (Gan Hamelech – Königsgarten) zu errichten. Die Abrisspläne erfolgen unter dem Vorwand, die Häuser seien illegal erbaut worden. (Was vollkommen richtig ist, denn Araber in Ost-Jerusalem erhalten seit 1968 keine Baugenehmigungen...)
Einer der rund 1000 vom Abriss betroffener Bewohner hat das Dilemma so ausgedrückt: „König David, der König der Juden, der Prophet der Moslems ging zum Ruhe finden auch nach da oben, zur Jaffa Road in West-Jerusalem; warum zerstören sie da keine Häuser? Der König starb, der Prophet starb, wir aber leben heute.“ Die Frage ist, was wichtiger ist: Ein bedeutender Mensch, der vor 3000 Jahren lebte, oder 1000 unbedeutende Menschen, die heute leben?
Anstatt auf direktem Wege zurück nach Ramallah zu fahren, habe ich einen Umweg über Abu Dis gemacht. Abu Dis ist ein arabischer Vorort süd-östlich von Jerusalem, der aber praktisch mit der Stadt zusammengewachsen ist. Hier verläuft die Mauer direkt zwischen den Häusern. Eine Straßenseite ist somit auf israelischer, die andere auf palästinensischer Seite.
Noch gibt es einen Übergang, an dem man über die Betonblöcke rüberklettern kann.
Dort habe ich mich lange mit zwei Mädels unterhalten, die auch gerade rüberkletterten. Beide wohnen in Ost-Jerusalem, haben also israelische Pässe, was ihnen zumindest mehr Bewegungsfreiheit ermöglicht als ihren Freundinnen, die auf der anderen Seite der Mauer wohnen. Beide besuchen eine Fachhochschule für medizinische Berufe in Abu Dis und klettern jeden Tag mehrmals über die schmale Passage in der Mauer.
In den nächsten paar Wochen wird aber auch diese Lücke geschlossen werden und dann werden sie mit dem Bus eine 10 Kilometer weite Strecke über den nächstgelegenen Checkpoint fahren müssen um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Freunde, Verwandte, die Schule, das Krankenhaus, die eigentlich nur 5 Minuten Fußmarsch entfernt sind rücken dann in weite Ferne.
Noch ist die Trennungsmauer nicht komplett fertig gestellt, es gibt unzählige Durchschlupfstellen und weite Strecken, an denen keinerlei Absperrungen vorhanden sind. Dennoch argumentieren die Befürworter der Mauer (oder "Sicherheitszaun", wie sie sie nennen) damit, dass die Zahl der Attentate in Israel seit Bau der Mauer deutlich zurück gegangen sei. Das ist vollkommen richtig.
Nur bin ich Sozialwissenschaftler genug, um mich zu fragen, ob diese beiden Variablen denn wirklich zusammenhängen. Sicherlich schreckt die Mauer ab und erschwert den Zugang nach Israel. Aber wer durchkommen will, der kommt auch durch. Die Attentate sind, soweit ich weiß, stark zurückgegangen, seit die Intifada zum Erliegen kam und die Hamas ihren einseitigen Waffenstillstand verkündet hat, weil sie ja als seriöse politische Kraft an den Wahlen teilnehmen wollte.
Mit Sicherheit bringt die Mauer Sicherheit. Zwar keine 100%ige, aber immerhin. Wenn die Mauer nur wegen der vermeintlichen Sicherheit gebaut werden würde und sich an der grünen Linie orientieren würde, wäre ja auch gar nichts dagegen einzuwenden. Die traurige Realität aber ist, dass die Mauer dazu dient die beiden Ethnien in diesem Land voneinander zu trennen, um eine, wie Ehud Olmert sagte "stabile und dauerhafte jüdische Bevölkerungsmehrheit zu sichern" und dabei unzählige palästinensische Städte und Dörfer zu Enklaven macht, die Bewohner von ihrer Infrastruktur, ihren Feldern und ihrenm sozialem Umfeld abschneidet.
Heute morgen habe ich auf dem Frühstückstisch ein Buch mit Bibelsprüchen entdeckt, welches meinen schweizer Mitbewohnern gehört. Beim Durchblättern fand ich zufällig einen Bibelvers, der, wie ich finde, sehr passend für die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit ist, die hier in dieser Region, die von Besatzung, Unterdrückung, Demütigung und ethnischer Trennung gekennzeichnet ist. Der Vers stammt aus dem zweiten Buch Mose, also aus dem alten Testament, welches die Grundlage für die Thora bildet. Der Vers lautet:
„Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken; denn ihr wisst um der Fremdlinge Herz, weil auch ihr Fremdlinge in Ägyptenland gewesen seid.“ 2. Mose 23,9
Da steht nicht: Weil ihr in Ägypten wie der letzte Dreck behandelt worden seid, sollt ihr die Fremdlinge auch wie den letzten Dreck behandeln. Vielleicht sollte man dass mal ein paar israelischen Politikern zur Kenntnissnahme zuschicken.
Ich jedenfalls habe mich wieder nach Hause begeben und war auf dem Heimweg überrascht, wie viel Stacheldraht in diesem Land doch herumliegen und bestimmte Areale für die Bevölkerung unzugänglich machen.
2 Comments:
Ein sehr guter -und zudem noch klasse geschriebener- Beitrag. Gefällt mir sehr gut. Ich bin gespannt auf die anderen.
Noch viel Spaß beim Bloggen,
Frank
Erschütternde Bilder. Erinnern mich an die damalige Grenze zur DDR. Durch den Metallgitterzaun konnte man wenigstens noch durchgucken,was bei der acht Meter hohen Betonmauer bei Ramallah nicht möglich ist. Ich kann nur hoffen, dass sie doch recht bald wieder abgebaut wird wie die Grenze zur ehemaligen DDR.
Walter 26.11.06
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