Sonntag, März 5

Ausflug nach Qalqiliya

Ramallah, 3. März 2006

Wie beinahe jeden Samstag war heute wieder Ausflugstag. Samstage eignen sich ganz hervorragend für längere Überlandfahrten, weil wegen dem Sabbat nur die Hälfte der Checkpoints in Betrieb ist und man dementsprechend halbwegs zügig voran kommt.

„Qalqiliya? Bist du dir sicher, dass du nach Qalqiliya willst? Oder meinst du Qalandya?“
fragt mich der Taxifahrer. Doch, doch schon richtig, heute will ich nach Qalqiliya. Die Stadt liegt im nördlichen Teil der West Bank direkt an der grünen Linie, also der „Grenze“ zu Israel. Was ein Europäer dort will ist allen Mitfahrern im Taxi ein Rätsel.

Die Stadt ist umgeben von jüdischen Siedlungen, südlich der Stadt befindet sich Ariel, einer der größten Siedlungsblöcke. Die Mauer macht dort zwei große Bögen, wie zwei lange Finger ragt der Mauerverlauf tief in palästinensisches Gebiet hinein und verleibt so die großen Siedlungsblöcke (und die unterirdischen Wasserläufe) dem israelischem Kernland ein. Die Stadt Qalqiliya selbst wollte man natürlich nicht mit einverleiben, den schließlich geht es bei dem Bau der Mauer auch um eine endgültige Grenzziehung und um die Aufrechterhaltung der jüdischen Bevölkerungsmehrheit Israels.

Dummerweise hat sich Israel nämlich bei Staatsgründung entschlossen, eine jüdische Demokratie zu sein, da sind Araber natürlich hinderlich und werden nun mit Hilfe der Mauer wo es nur geht ausgeschlossen.

Der viel beschworene "jüdische und demokratische Staat" ist "demokratisch für die Juden und jüdisch für die Araber", diagnostizierte die Arbeitspartei-Abgeordnete Yael Dayan treffend.

(Yael ist - am Rande bemerkt - die Tochter von Moshe Dayan)

Deswegen ist die Stadt also jetzt komplett von der Mauer umrundet, 40.000 Menschen sind nicht nur von ihren Feldern und Gärten, sondern auch von Arbeitsplätzen und der sie umgebenen Infrastruktur abgeschnitten und im wahrsten Sinne des Wortes eingesperrt. Denn es gibt nur einen einzigen Eingang in die Stadt, ein acht Meter breites Stahltor an einem Checkpoint östlich der Stadt.

Wenn dieses Tor geschlossen wird, was hin und wieder „due to security measures“ geschieht, wird die Stadt zu einem gigantischen Freiluftgefängnis. In Südafrika nannte man solche abgegrenzte Wohngebiete „homelands“…


"I am a black South African, and if I were to change
the names, a des
cription of what is happening
in the Gaza Strip and West Bank
could describe events in South Africa."

(Erzbischof Desmond Tutu)


Auf dem Weg nach Qalqiliya passieren wir etliche Checkpoints, immer wieder stehen Militärjeeps an der Straße und kontrollieren Autos mit palästinensischen Nummernschildern. Die Hügelkuppen sind mit Fertighäusern mit roten Spitzdächern übersät, rundherum Zäune mit Scheinwerfern und in mitten all dem Wirrwarr von Siedlungen, Militärposten, palästinensischen Dörfern, normalen Straßen und Siedlerstraßen hüten Hirten ihre Schaf- und Ziegenherden.

An einer Kreuzung, wo eine kleine Straße zu einer Siedlung hinauf führt, stehen zwei Siedler mit umgehängten Maschinengewehren und winken den vorbeifahrenden Sammeltaxis. Ich frage mich, ob die allen Ernstes glauben, dass sie hier irgendjemand mit nimmt.

In Qalqiliya angekommen mache ich mich nach einem Kaffee und einem Plausch mit dem Café-Besitzer, der 5 Jahre lang in Chicago gelebt hat, auf einen Rundgang durch die Stadt. Man kann sie nicht wirklich als schön oder gar sehenswürdig beschreiben. Dennoch: ich finde, man muss auch die hässlichen Ecken eines Landes sehen.

Abgesehen von der Hauptstraße besteht die Stadt hauptsächlich aus ärmlichen Wohnvierteln mit engen Gassen und Grafitti-übersäten Wänden.

In den Gassen spielen Kinder Fußball oder schießen mit ihren Steinschleudern. Teilweise gibt es richtige Slums, in denen die Behausungen aus Brettern, Plastikplanen und Paletten bestehen. An vielen Häusern sind Ställe angebaut, in den Innenhöfen laufen Hühner und Schafe umher. Außerdem gibt es auffällig viele Pferde und Esel in der Stadt. Hafer ist eben immer noch preisgünstiger als Diesel.

Nachdem mich eine Gruppe Geistlicher in ihre Moschee eingeladen und mich dort ein halbe Stunde lang von den Vorzügen des Islams überzeugen wollten, konnte ich ihnen letztendlich verständlich machen, dass ich meine Religion nicht wie ein paar Schuhe wechseln kann, dass ich drüber nachdenken werde und im Falle eines Wunsches nach Konvertierung wiederkommen werde. Die Jungs waren felsenfest davon überzeugt, dass nur Moslems ins Paradies kommen und dass, ich, wenn ich nicht in der Hölle brennen möchte, jetzt die einmalige Gelegenheit hätte der einzig wahren Religion beizutreten.

Weil der Koran die Jüngste der Offenbarungsreligionen ist, seien die beiden anderen hinfällig geworden und die Christen sind einfach bei Jesus Christus stehen geblieben und haben verpasst, dass mit Mohammed noch ein Prophet nach ihm kam.

Zurück am Taxistand kam dann die böse Überraschung: Es war bereits halb 7 und ab 4 fahren keine Taxis mehr nach Ramallah. Nach langem Rumfragen und Auskundschaften alternativer Routen und Feilschen mit den Fahrern blieb mir dann nichts anderes übrig als ein Taxi für mich alleine zu bezahlen, also den 7-fachen Preis. Macht 150 Schekel (das sind ca. 27 €). Tscha, der Taxifahrer hat damit das Geschäft seines Lebens gemacht, aber meine Verhandlungsposition war denkbar schlecht: es war dunkel, ich musste nach Hause, denn in Qalqiliya gibt es keine Hotels.


Auf dem Rückweg wieder ewiges warten an flying Checkpoints. Am großen stationären Checkpoint südlich von Nablus kontrolliert uns ein junger Soldat mit aus bunter Wolle gehäkelter Kippa. Woher ich komme und wohin ich will, fragt er mich auf lupenreinem Englisch.

Dann, nach einem Blick in meinen Pass: „From Germany? What the hell are you doing here?“ Meine Antwort, dass ich zur Zeit in Ramallah wohne, verstärkt seine Fassungslosigkeit nur noch. Ob er denn schon mal in Ramallah gewesen sei, frage ich ihn, es sei nämlich eine sehr schöne Stadt. „Hell, no!“ lautet seine ebenso kurze wie eindeutige Antwort.

Ich würde mich ja liebend gerne mal länger mit einem Soldaten über seine Sicht der ganzen Situation hier unterhalten. Aber an den Checkpoints geht das nicht. Erstens ist die Zeit zu knapp und zweitens ist die Stimmung zu angespannt. Man kann sich da nicht von Mensch zu Mensch unterhalten, weil die Soldaten nicht in ihrer Funktion als Mensch, sondern als Vertreter der Besatzungsmacht auftreten. Privat mögen die bestimmt nette, aufgeschlossene und sympathische Typen sein, aber in Uniform und mit einer M-16 in der Hand sind sie Bestandteil einer aggressiven Militärmacht.



Links:

Israelische Homepage, die so tolle Sachen wie Transfer aller Araber in die saudische Wüste und Wahlrecht nur für Juden fordert:

"So how does Israel put a stop to the explosive Israeli Arab population growth? The same way one puts a stop to a growing cancer… REMOVE IT. "


Artikel von Desmond Tutu über seine Reise durch Israel und Palästina:

"I've been very deeply distressed in my visit to the Holy Land; it reminded me so much of what happened to us black people in South Africa. I have seen the humiliation of the Palestinians at checkpoints and roadblocks, suffering like us when young white police officers prevented us from moving about."