Sonntag, Februar 5

Nur ein totes Meer ist ein gutes Meer...


Ramallah, 4. Februar 2006

Nachdem ich gestern schon den ganzen Tag bei neblig-kalten Witterungsverhältnissen und konstantem Nieselregen im Djebel Nudjmeh ausgeharrt habe, fiel mir die Entscheidung heute morgen nach einem kurzen Blick aus meinem vergitterten Fenster und der ernüchternden Feststellung, dass der Hochsommer noch immer nicht ausgebrochen war, relativ leicht:

Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein, wir fahrn an Wannsee!

Da der Wannsee zu weit weg und (wie ich aus gut informierten Kreisen von verlässlichen Quellen erfahren habe) auch schon zugefroren ist, ging es dann an das nächstgelegene Gewässer. Also Taxi zum Al-Manara, dort umsteigen in ein Taxi nach Jericho. Diesmal ging es nicht die mir schon bekannte Strecke über den Qalandya-Checkpoint und über „israelisches“ Territorium nach Jericho, sondern auf direktem Wege. Über die Dörfer, durch die Berge, auf miserablen Straßen, die streckenweise nicht einmal asphaltiert sind. Wunderschöne Landschaft, Hügel, Terrassen, Olivenhaine. Und immer wieder Erdrutsche, die die Hälfte der ohnehin schon schmalen Fahrbahn blockieren.



Doch auch auf dieser Fahrt bleibt einem die große Politik nicht erspart: zeitweise fahren wir parallel zu einer Siedlerstraße. Die ist mehrspurig, frisch asphaltiert, mit Laternen ausgestattet und ohne jeglichen Verkehr. (Ja, klar, ist ja auch Sabbat. Ich komm mit den Wochentagen völlig durcheinander hier...) Zwei mal kreuzen wir die Siedlerstraße; einmal durch eine Unterführung, einmal über eine Kreuzung. An der einen Ecke der Kreuzung steht ein aus Betonelementen zusammengesetzter Wachturm, darinnen ein Soldat, von dem man aber nur den Lauf des Maschinengewehrs und den Helm sieht. Obwohl weit und breit kein Auto zu sehen ist, muss unser Minibus anhalten und warten, bis der Soldat dem Fahrer das Okay zur Überquerung gibt. Einen Hügel weiter sieht man die Siedlung, der zuliebe der ganze Aufwand betrieben wird. Eine Handvoll Fertighäuser auf der Hügelkuppe, eingepfercht hinter Zäunen und Stacheldraht, ein Wachturm an jeder Ecke. Dazu, wie in vielen Siedlungen, ein Antennenmast, Radargeräte und dergleichen. Wenn das Militär schon mal hier ist, kann es ja auch gleich ein wenig den Feind ausspionieren. Insofern legitimieren sich Siedlungen und Besatzung gegenseitig.

In Jericho angekommen - die Stadt kannte ich ja schon von meinem letzten Besuch - habe ich das Beste gemacht, was man in Jericho machen kann. (Mal abgesehen von Trompete und Abrissunternehmen spielen vielleicht.) Ich habe mir ein Fahrrad geliehen und so meinen Aktionsradius vervielfacht. Zuerst wollte ich zum Jordan und mir mal die Allenby-Bridge, die rüber nach Jordanien führt, angucken. Ging aber nicht, der Checkpoint am östlichen Ende der Stadt war geschlossen. (Klar, ist ja auch Sabbat.) Also Richtung Süden, der Checkpoint an der südlichen Ausfallstraße muss ja wohl offen sein.




Durch ärmliche Wohnviertel, über holprige Wege entlang von Beduinen mit ihren Schaf-, Hammel-, Dromedarherden. Immer wieder verfolgen mich Kinder auf ihren Fahrrädern und fragen die altbekannten Fragen: Wie geht´s? Wo kommst du her? Haste ma nen Schekel?

Einer hat mich, nachdem ich den beiden Jungs das Baqschisch verwehrt habe, nach Zigaretten gefragt. Zigaretten sind aber nur was für Erwachsene und nichts für kleine Kinder. Daraufhin er: „Ich bin nicht klein! Ich bin schon 10!“

Urplötzlich komme ich auf eine Straße, die, wie unschwer an ihrem Zustand und an der Beschilderung zu erkennen ist, unter israelischer Verwaltung steht, also im annektierten C-Gebiet des Jordantals liegt. Der Straße folgend habe ich zuerst das Erasmus-Kloster besucht, wo ich mir eine mittelschwere Heiligenerscheinung zugezogen habe.


Danach ging es zu einer jüdische Mini-Siedlung, die ca. 400 Meter abseits der Straße lag. Ich dachte mir, ich fahr mal hin, wenn ich schon mal hier bin und frage, ob ich mir mal angucken darf, wie das selbst gewählte Leben hinter Mauern und Stacheldraht so aussieht. Mein Vorhaben scheiterte dann aber schneller als gedacht an meinen nicht vorhanden Hebräischkenntnissen in Kombination mit den nicht vorhandenen Englischkenntnissen der diensthabenen Soldaten am Eingangstor, neben welchem – sehr pittoresk – zwei Panzer standen. Siedlungen und Militär legitimieren sich gegenseitig…

Also weiter die Straße entlang, immer angenehm leicht bergab, bis dann das tote Meer in Sichtweite kam. Direkt ans Ufer konnte ich nicht, da war leider militärisches Sperrgebiet.

Aber kurz dahinter ging es, entlang an verlassenen Ferienanlagen zu einem hübschen kleinen Badeanlage. Auf dem Parkplatz standen zwei oder drei Reisebusse und als ich mit meinem klappernden Leihrad an den Eingang kam, fragte mich die Security-Dame zu welcher Gruppe ich den gehören würde.

- „Zu keiner, ich bin alleine hier.“

- „Mit dem Fahrrad??? Von wo aus?“

- „Von Jericho.“

- „Aber… aber, das sind doch bestimmt 10 Kilometer?!?“

Nach der obligatorischen Frage, ob ich Waffen bei mir hätte, ging es dann rein. Um das Fahrrad müsste ich mir keine Sorgen machen, sagte die Dame (die eine Waffe bei sich hatte), sie und die Soldaten passen drauf auf.
Die Soldaten waren aber so ins Tawla spielen vertieft, dass sie das Fahrrad nicht einmal bemerkt hätten, wenn es angefangen hätte, auf dem Vorderrad balancierend mit Fackeln, Äpfeln und Kettensägen zu jonglieren.



Das tote Meer selbst ist der absolute Wahnsinn. Am besten beschreibt sich der Zustand des wie-ein-Korken-auf-dem-Wasser-Schwebens mit dem Adjektiv, dass der Inhalt der Reisebusse – rüstige Rentner aus Texas und South Carolina - immer wieder ausriefen.
INCREDIBLE !!!



Nach dem relaxt auf dem Wasser liegen muss man sich natürlich mit dem schwarzen und extrem salzhaltigen Schlamm einreiben; sieht erstens cool aus und ist zweitens gut für Haut und Haare.



Der Rückweg nach Jericho gestaltete sich dann in dreifacher Hinsicht schwieriger als der Hinweg:

1) Es ging bergauf.
2) Ich hatte Gegenwind.
3) Meine Beine waren schwer und müde.

Kurz vor dem eigentlichen Checkpoint zur Stadtgrenze von Jericho wurde ich dann Zeuge einer vertrauensbildenden Maßnahme israelischer Soldaten gegenüber der palästinensischen Zivilbevölkerung. Ein Militärjeep hatte einen flying Checkpoint errichtet und einen Überlandbus angehalten um die Insassen zu kontrollieren. Auf der Leitplanke saßen 27 Männer, ein Soldat mit seiner M16 im Anschlag stand vor ihnen und bewachte sie. Ein anderer lief gerade mit einem Stapel der eingesammelten ID-Karten zum Jeep.

Einen deutschen Touri auf einem Fahrrad hatten anscheinend weder die Soldaten noch die Fahrgäste jemals gesehen, jedenfalls schauten mich alle an, als sei ich von nem anderen Stern. Natürlich wurde ich auch kontrolliert, aber der kleine Ausweis des deutschen Vertretungsbüros in Ramallah, der mir bescheinigt, dass ich unter dem Schutz der deutschen Botschaft in Tel Aviv stehe, wirkte mal wieder Wunder.

Wo ich her komme, wo ich hin wolle, wo ich wohne, wo meine Familie in Deutschland wohnt und was ich in Israel mache, wollte der Soldat von mir wissen.

Ich komme vom Toten Meer, ich will zurück nach Jericho um mein Leihrad abzugeben, ich wohne in Ramallah, meine Familie wohnt in Berlin (der Einfachhalt halber… – Grüße nach Ham- und Freiburg!) und ich bin in Ramallah um medien-soziologische Forschung zu betreiben.

Eigentlich hätte ich ihn fragen sollen, was er eigentlich in Palästina macht, schließlich befanden wir uns deutlich außerhalb der offiziellen Staatsgrenzen Israels, aber er hatte ein Sturmgewehr und staatliche Befugnisse, ich hingegen nur ein Fahrrad und ein flaues Gefühl im Bauch…

Im Weiterfahren an den aufgereihten und aufgehaltenen Busfahrgästen vorbei wurde mir mal wieder klar, was es heißt, einen europäischen Pass in der Tasche zu haben. Volle Bewegungsfreiheit zwischen den beiden Welten, privilegierte Abfertigung bei allen Kontrollen, (halbwegs) freundliche Behandlung und die Möglichkeit dieser Scheißsituation hier jederzeit den Rücken kehren zu können und den Flieger nach hause zu nehmen.

Die Durchfahrt durch den stationären Checkpoint lief dann wieder problem- und reibungslos. Kurz danach, beim palästinensischen Checkpoint fragten mich die drei herumlungernden palästinensischen Sicherheitskräfte, warum um alles in der Welt ich mit dem Fahrrad unterwegs sei. Meine Antwort auf rudimentärem Arabisch haben sie verstanden – das mit dem Fahrrad jedoch nicht. Der Araber als solcher ist bekanntermaßen allergisch gegen jede Form von körperlicher Ertüchtigung und wartet sogar für Strecken unter 500 Metern lieber 10 Minuten auf ein Taxi als zu laufen…

Zurück in Jericho musste ich erstmal was essen gehen, aber bevor ich was bekam, musste ich dem Kellner gegenüber Farbe bekennen bezüglich meiner Zugehörigkeit: Nein, nicht Fatah oder Hamas, sondern Bayern München oder Schalke.

Dann wieder in ein Sammeltaxi, diesmal ging es die andere Strecke, die Richtung Jerusalem, zum Qalandya-Checkpoint.

Die ist zwar von der Entfernung her länger, aber deutlich schneller, weil bestens ausgebaut. Zuhause dann Tagesschau gucken: brennende skandinavische Botschaften in Damaskus und Beirut, verwüstetes deutsches Kulturzentrum und Sturm auf das deutsche Vertretungsbüro in Gaza-Stadt, Ende des diplomatischen Spielraumes im Atomstreit mit dem Iran.

Jetzt verstehe ich auch, wieso ich die letzten Tage immer wieder gefragt wurde, ob ich Däne sei. Vielleicht sollte ich mir eine Schweizer Flagge besorgen und auf die Jacke nähen, da geht man auf Nummer sicher.

Schlägt ganz schöne Wellen, diese Karikaturengeschichte. Ich bin ja sonst ein Freund des grenzenlosen Verarschens einer jeden Randgruppe und gute Satire ist mir fast so wichtig wie gutes Essen, aber ich frage mich einfach, wieso die so was drucken müssen. War doch klar, dass das religiöse Gefühle verletzt, (Möchtegern-)Fromme provoziert und Randale gibt. Denn der Araber als solcher nutzt bekanntermaßen jede Möglichkeit Randale zu machen, die sich ihm bietet. Das haben wir ja letzte Woche nach den Wahlen gesehen. Und überall, sowohl in Damaskus, als auch in Beirut und in Gaza waren es hauptsächlich Jugendliche und eine Handvoll Rädelsführer, ein durchgeknallter Mob von Ungebildeten, die ihren Hass am vermeintlich islamfeindlichen Westen freien Lauf ließen…

Wir durch und durch säkularisierten Europäer können darüber nur den Kopf schütteln, wir hatten aber auch – Voltaire sei Dank! – die Aufklärung und seit dem eine Trennung von Staat und Kirche. In den muslimisch geprägten Ländern sind Staat und Religion aber sehr verstrickt miteinander und Witze über die Religion oder gar den Propheten sind ein absolutes Tabu. Man stelle sich nur einmal vor, Luther hätte den frisch erfundenen Buchdruck in einer Zeit, als in Europa die Relidion einen sehr hohen Stellenwert hatte, dafür genutzt, Karikaturen zu veröffentlichen, die Jesus als schwulen Gruppensex-Guru oder den Papst im Puff zeigen. Da wäre ganz sicher die eine oder andere Druckerei in Flammen aufgegangen und die Verantwortlichen nach einem fairen Gerichtsprozess auf dem Scheiterhaufen gelandet.

Wer die ganzen Karikaturen – die übrigens allesamt weder künstlerisch noch inhaltlich besonders originell sind – mal sehen will: Bitteschön, hier und hier findet man Zusammenstellungen.

(Zu meiner eigenen Sicherheit: Ich distanziere mich ausdruecklich von dem Inhalt der verlinkten Seiten, fuer deren Inhalt nicht ich, sondern der jeweilige Betreiber verantwortlich ist ;-)

Und bei spiegel-online gab es gestern einen sehr guten Artikel über das ganze Tohuwabohu.
(Tohuwabohu ist übrigens Hebräisch und bedeutet Chaos und Durcheinander…)


Um keinen Kampf der Kulturen auszulösen, beende ich den heutigen Beitrag mit einem Wort des großartigen Philosophen Wiglaf Droste:

Allah ist groß, Allah ist mächtig - und wenn er aufm Stuhl steht ein Meter sechzig!