Nach dem Erdbeben - vor dem Nachbeben
Ramallah, 27. Januar 2006
Heute ist der Tag der Analysten. Experten aus aller Welt und solche, die sich dafuer halten, spekulieren ueber die Zukunft des Nahostkonfliktes und die Auswirkungen auf den Friedensprozess. Da moechte ich mich doch gerne einreihen und auch was dazu beitragen...
Der Wahlsieg der Hamas soll dem Friedensprozess schaden?
Welchen Friedensprozess meinen die eigentlich? Seit Jahren gab es keine Verhandlungen mehr, erst weil Arafat als Verhandlungspartner abgelehnt wurde und dann, weil Mahmoud Abbas vorgeworfen wurde, er wuerde nichts oder zu wenig zur Entwaffnung der Milizen unternehmen.
Von ihm und seiner spaerlich ausgestatteten Polizei wurde also das verlangt, was das israelische Militaer in 5 Jahren der Wiederbesetzung und der gezielte Toetungen nicht erreicht hat.
Erst Polizeistationen bombardieren und sich dann beklagen, die palaestinensische Polizei sei nicht willens und nicht faehig zu handeln...
Von einem Friedensprozess kann also schon lange nicht mehr die Rede sein.
Und jetzt?
Jetzt sieht es ganz danach aus, als gaebe es ueberhaupt keinen Ansprechpartner mehr. Anstatt des gemaessigten, verhandlungs- und kompromissbereiten Abbas wird in Zukunft ein Hamas-Politiker auf dem Praesidentenstuhl sitzen. Und ganz gleich, ob dieser eine radikale oder eine nicht ganz so radikale Position gegenueber Israel vertritt: es wird schwierig werden in absehbarer Zeit den im Koma liegenden Friedensprozess wiederzubeleben. Bestenfalls schafft es die Hamas, sich als glaubhafte und verlaessliche Kraft zu etablieren: schlimmstenfalls werden in Israel ebenfalls Hardliner an die Regierung kommen und jegliche Verhandlungen ablehnen und statt dessen eine harte Linie fahren. Dann ist davon auszugehen, dass die Gewaltspirale wieder zu rotieren beginnt...
Finanzhilfe einstellen?
Klar, koennte die EU machen. Gesetzt dem Fall, dass sie ein Interesse an der weiteren Verarmung und damit auch der Radikalisierung der palaestinensischen Bevoelkerung hat. Ohne die EU-Gelder koennte die Autonomiebehoerde nicht mal mehr ihre Beamten bezahlen, was dem allgemeinen Unmut, der Korruption foerderlich und der Sicherheitslage hinderlich waere.
Die Hamas soll dem Terror abschwoeren?
Klar sollte sie dass. Die Frage ist nur: Was ist Terror? Terror ist immer eine Frage des Betrachters. Fuer die Israelis sind Angriffe auf Soldaten auch Terrorakte. Nach internationalem Recht sind Angriffe auf eine Besatzungsarmee legitimes Recht. Und trotz aller barbarischen Anschlaege, die der bewaffnete Arm der Hamas in den letzten Jahren auch auf Zivilisten veruebt hat, sollte man nicht vergessen, dass die Hamas - im Gegensatz zu den Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden und dem Islamischem Jihad - sich seit anderthalb Jahren an den von ihr einseitig ausgerufenen Waffenstillstand haelt.
Also seit genau dem Zeitpunkt, an dem sich die Fuehrung der Hamas entschlossen hat, auch auf der parlamentarischen Ebene die Politik mitzubestimmen. Das allgemeine Chaos im Gazastreifen, die Entfuehrung von Auslaendern und der juengste Selbstmordanschlag letzte Woche in Tel Aviv gehen auf Kosten der beiden anderen oben genannten Gruppierungen.
Also ist eine vielerorts befuerchtete zweigleisige Strategie der Hamas - regieren UND bomben -
sehr unwahrscheinlich. Die Hamas ist auf dem Weg von einer Widerstandsgruppe zu einer politischen Partei. Dieser Transformationsprozess hat schon vor laengerer Zeit begonnen und ist bei Weitem noch nicht am Ende, aber:
Er wurde eingeschlagen und trotz aller Wahlkampfrethorik der letzten Tage und Wochen werden die Hamas-Leute jetzt Realpolitik betreiben MUESSEN.
Es wird alles nicht so heiss gegessen wie es gekocht wird. Auch in Palaestina nicht.
Wie es um die demokratische Grundeinstellung der Anhaenger der Hamas steht, konnte man gestern am fruehen Abend sehen, als sie das Parlament belagerten und die palaestinensische Flagge durch die der Hamas ersetzten. Allerdings waren die Ausschreitungen und auch das Ausmass der Zerstoerung laengst nicht so gross, wie anfaenglich berichtet wurde.
Es gab eine Strassenschlacht zwischen Hamas- und Fatah-Anhaengern, es gingen einige Scheiben zu Bruch und es gab zwei Verletzte. Und die Sicherheitskraefte ballerten dazu in die Luft um sich - im wahrsten Sinne des Wortes - Gehoer zu verschaffen und die beiden Gruppen auseinader zu treiben.
Ute, eine Kollegin, die seit nunmehr 8 Jahren hier ist, meinte heute morgen nur:
"Ach, das war doch kein grosses Ding. Das ist normal, hier passiert eben nichts ohne ein bisschen Krawall. Die sind einfach etwas emotionaler..."
Heute ist der Tag der Analysten. Experten aus aller Welt und solche, die sich dafuer halten, spekulieren ueber die Zukunft des Nahostkonfliktes und die Auswirkungen auf den Friedensprozess. Da moechte ich mich doch gerne einreihen und auch was dazu beitragen...
Der Wahlsieg der Hamas soll dem Friedensprozess schaden?
Welchen Friedensprozess meinen die eigentlich? Seit Jahren gab es keine Verhandlungen mehr, erst weil Arafat als Verhandlungspartner abgelehnt wurde und dann, weil Mahmoud Abbas vorgeworfen wurde, er wuerde nichts oder zu wenig zur Entwaffnung der Milizen unternehmen.
Von ihm und seiner spaerlich ausgestatteten Polizei wurde also das verlangt, was das israelische Militaer in 5 Jahren der Wiederbesetzung und der gezielte Toetungen nicht erreicht hat.
Erst Polizeistationen bombardieren und sich dann beklagen, die palaestinensische Polizei sei nicht willens und nicht faehig zu handeln...
Von einem Friedensprozess kann also schon lange nicht mehr die Rede sein.
Und jetzt?
Jetzt sieht es ganz danach aus, als gaebe es ueberhaupt keinen Ansprechpartner mehr. Anstatt des gemaessigten, verhandlungs- und kompromissbereiten Abbas wird in Zukunft ein Hamas-Politiker auf dem Praesidentenstuhl sitzen. Und ganz gleich, ob dieser eine radikale oder eine nicht ganz so radikale Position gegenueber Israel vertritt: es wird schwierig werden in absehbarer Zeit den im Koma liegenden Friedensprozess wiederzubeleben. Bestenfalls schafft es die Hamas, sich als glaubhafte und verlaessliche Kraft zu etablieren: schlimmstenfalls werden in Israel ebenfalls Hardliner an die Regierung kommen und jegliche Verhandlungen ablehnen und statt dessen eine harte Linie fahren. Dann ist davon auszugehen, dass die Gewaltspirale wieder zu rotieren beginnt...
Finanzhilfe einstellen?
Klar, koennte die EU machen. Gesetzt dem Fall, dass sie ein Interesse an der weiteren Verarmung und damit auch der Radikalisierung der palaestinensischen Bevoelkerung hat. Ohne die EU-Gelder koennte die Autonomiebehoerde nicht mal mehr ihre Beamten bezahlen, was dem allgemeinen Unmut, der Korruption foerderlich und der Sicherheitslage hinderlich waere.
Die Hamas soll dem Terror abschwoeren?
Klar sollte sie dass. Die Frage ist nur: Was ist Terror? Terror ist immer eine Frage des Betrachters. Fuer die Israelis sind Angriffe auf Soldaten auch Terrorakte. Nach internationalem Recht sind Angriffe auf eine Besatzungsarmee legitimes Recht. Und trotz aller barbarischen Anschlaege, die der bewaffnete Arm der Hamas in den letzten Jahren auch auf Zivilisten veruebt hat, sollte man nicht vergessen, dass die Hamas - im Gegensatz zu den Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden und dem Islamischem Jihad - sich seit anderthalb Jahren an den von ihr einseitig ausgerufenen Waffenstillstand haelt.
Also seit genau dem Zeitpunkt, an dem sich die Fuehrung der Hamas entschlossen hat, auch auf der parlamentarischen Ebene die Politik mitzubestimmen. Das allgemeine Chaos im Gazastreifen, die Entfuehrung von Auslaendern und der juengste Selbstmordanschlag letzte Woche in Tel Aviv gehen auf Kosten der beiden anderen oben genannten Gruppierungen.
Also ist eine vielerorts befuerchtete zweigleisige Strategie der Hamas - regieren UND bomben -
sehr unwahrscheinlich. Die Hamas ist auf dem Weg von einer Widerstandsgruppe zu einer politischen Partei. Dieser Transformationsprozess hat schon vor laengerer Zeit begonnen und ist bei Weitem noch nicht am Ende, aber:
Er wurde eingeschlagen und trotz aller Wahlkampfrethorik der letzten Tage und Wochen werden die Hamas-Leute jetzt Realpolitik betreiben MUESSEN.
Es wird alles nicht so heiss gegessen wie es gekocht wird. Auch in Palaestina nicht.
Wie es um die demokratische Grundeinstellung der Anhaenger der Hamas steht, konnte man gestern am fruehen Abend sehen, als sie das Parlament belagerten und die palaestinensische Flagge durch die der Hamas ersetzten. Allerdings waren die Ausschreitungen und auch das Ausmass der Zerstoerung laengst nicht so gross, wie anfaenglich berichtet wurde.
Es gab eine Strassenschlacht zwischen Hamas- und Fatah-Anhaengern, es gingen einige Scheiben zu Bruch und es gab zwei Verletzte. Und die Sicherheitskraefte ballerten dazu in die Luft um sich - im wahrsten Sinne des Wortes - Gehoer zu verschaffen und die beiden Gruppen auseinader zu treiben.
Ute, eine Kollegin, die seit nunmehr 8 Jahren hier ist, meinte heute morgen nur:
"Ach, das war doch kein grosses Ding. Das ist normal, hier passiert eben nichts ohne ein bisschen Krawall. Die sind einfach etwas emotionaler..."
1 Comments:
dieser blog ist echt großartig. ich lese deine berichte jeden tag mit großer begeisterung, natürlich besonders jetzt zu den wahlen. auch die bilder sind echt klasse.
ich habe dein tagebuch auch auf meinem blog verlinkt und wünsche deiner page viele besucher.
wenn du zeit und lust hast schau ruhig mal auf unserer seite http://alsharq.blogspot.com vorbei.
wir scheinen ja zur gleichen uni zu gehören...
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