Donnerstag, Januar 12

Reise nach Jerusalem

Ramallah, 10. Januar 2006


Nach einer ziemlich unruhigen Nacht bin ich heute um 7 aufgestanden. Ja wirklich, auch wenn es mir niemand glauben wird…

Da heute Eid Al-Adha, das islamisch Opferfest ist, läuft das öffentliche Leben nur im ersten, statt wie sonst mit Vollgas im vierten Gang. Das Opferfest ist neben dem Rammadan das höchste Fest im islamischen Kalender.

Man gedenkt an den guten alten Stammvater Abraham (aka Ibrahim), dem von seinem Gott (aka Allah) in Beer Sheva befohlen wurde, seinen Sohn (ich glaube, es war Isa´ak) zu opfern, um zu beweisen, dass er wirklich an ihn glaubt.

Also wanderte er mit seinem Sohn die 85 km nach Jerusalem (aka Yerushalim, aka Al-Quds), um ihn dort auf dem Felsen, der heute im Inneren des Felsendomes liegt, zu opfern. Doch im letzten Moment, das Messer war schon an des Sohnemanns Hals, rief Gott aus dem Himmel herab: „Lass gut sein, Alter! Ich glaube dir!“


Und um dieser absoluten Hingabe und Gottesfürchtigkeit zu gedenken, opfern die Moslems an diesem Tag einen Hammel. Jede Familie, die es sich leisten kann, kauft sich einen Hammel. Wer besonders wohlhabend ist, spendet armen Familien eine Haxe oder zwei.


Wenn aber jede Familie einen Hammel braucht, kann man sich in etwa vorstellen, wie viele Hammel an einem solchen Tag geschlachtet werden. Und zwar helal, also nach den Regeln des Koran. Das heißt: Bismi´llah (im Namen Gottes) murmeln, Halsschlagader mit einem Schnitt durchschneiden und das Tier komplett ausbluten lassen.




Ich habe das Opferfest 1998 schon einmal in Chefchauen im Rifgebirge in Marokko miterlebt und die Bilder gleichen sich: Überall Hammel, die gespannt darauf warten, was wohl kommen wird und Blut, das in Strömen die Rinnsteine hinunterfließt.


Jedenfalls habe ich mir gedacht: das ist der ideale Tag, um mir mal Jerusalem anzugucken. Jerusalem bedeutet uebrigens "Stadt des Friedens". In der Bibel steht aber:

Und es soll geschehen an jenem Tage, dass ich Jerusalem zum Laststein für alle Völker machen werde; alle, die ihn heben wollen, werden sich daran wund reissen; und alle Nationen der Erde werden sich gegen sie versammeln. (Sacharja 12,3.)

Mit alle Nationen der Erde ist wahrscheinlich die UNO-Vollversammlung gemeint. Die hat sich zwar schon mehrmals in Resolutionen beispielsweise gegen die Annektierung Ost-Jerusalems durch Israel ausgesprochen. Nur gebracht hat es nie was, weil eine Supermacht mit drei Buchstaben stets ihr Veto einlegt...

Also ab ins Taxi zum Qalandya Checkpoint. Zu Fuß entlang der Mauer zum Checkpoint. Dort angekommen muss man durch eine terminalartige Wartehalle, durch unzählige Drehkreuze und durch Absperrungen durch. Auf Schildern steht „Welcome“ und „Have a nice and safe stay“.


Dann der eigentliche Übergang. Security checks wie am Flughafen, nur irgendwie krasser. Metalldetektor-Tor, Röntgenapparat mit Laufband für Jacken, Taschen, etc. . Vor ein paar Wochen wurde ein Soldat an diesem Checkpoint von einem Palästinenser erstochen, deswegen sitzen die Soldaten jetzt hinter massivem Panzerglas in einem Kontrollraum. Heute sind es zwei Mädels, die bestimmt noch keine 20 sind . Pässe, bzw. ID-Karten muss man an die Scheiben halten. Aus den Lautsprechern quäken sie gebellte Befehle auf arabisch mit furchtbarem hebräischem Akzent.

Auf der anderen Seite der Mauer warten die Busse und Taxis.

Wieder im Bus entlang der Mauer, dann auf die Straße nach Jerusalem. Nach ein paar Kilometern muss der Bus an einem provisorischen Checkpoint anhalten. Zwei Soldaten, einer von ihnen äthiopischer Jude (die behaupten, der verloren gegangenene 13. Stamm der 12 Stämme Israels zu sein), steigen ein und kontrollieren Pässe und Taschen. Schon ein seltsames Gefühl, wenn man in dem engen Mittelgang des Busses ein geladenes Sturmgewehr direkt vor der eigenen Nase baumeln hat.

Am Damaskustor angekommen begebe ich mich in das Gassenlabyrinth der Altstadt und laufe einfach drauf los. Wegen besagtem Feiertag habe alle muslimischen Geschäfte geschlossen und kaum jemand ist unterwegs. Und die Christen haben auch größtenteils zu, weil sich das Geschäft heute nicht lohnt.

Also der ideale Tag, um die Stadt zu erkunden ohne von aufdringlichen Händlern belagert zu werden.

Im Christenviertel riecht es nach Weihrauch, an jeder zweiten Straße ist eine Kapelle, eine Kirche oder eine Höhle, in denen wahlweise ein Heiliger, ein Jünger oder gleich Jesus selbst gewohnt, gestorben, begraben oder gefangen gehalten worden ist. In der Grabeskirche kann man für teuer Geld Kerzen kaufen (KERZNKAUFN! KERZNKAUFN! Kreuzberg lässt grüßen…), die dann ein Ober-Guru anzündet, weiht und wieder auspustet. Dann kann man sie mit nach Hause nehmen und aufheben, bis man mal ein frommen Wunsch hat oder so. Und die Leute stehen Schlange und werfen sich auf den kalten Steinboden um sich in Gymnastik und Demut zu üben.

Im muslimischen Viertel das gewohnte Durcheinander von Krämerläden, Falafelständen und Horden von Kindern, die mit Plastikwaffen auf sich, mich und ins leere schießen. Über die ganze Szenerie hallt das Gebell eines grottenschlechten Muezzins, der klingt wie eine besoffene Kuh. Aber wie gesagt, das Getümmel ist stark eingeschränkt, weil großen Fressen mit der Familie ansteht. Wenigstens müssen die Moslems nicht frieren, die haben Teppiche in ihrer Moschee.

Im jüdischen Viertel ein Durcheinander von Orthodoxen in schwarzen Mänteln mit Hut und Kippa, Soldaten und Sicherheitsleuten, Kindern, die bereits im zarten Kindergartenalter Schläfenlocken und Kippa tragen und stark übergewichtigen amerikanischen Touristengruppen. Überhaupt hört man sehr viel american english. Ich glaube fast es gibt in Israel mehr amerikanische Juden, die zu Besuch sind, als es israelische Juden gibt. Und überall krächzen Funkgeräte, jeder dritte trägt eine Waffe und es ist sehr viel ordentlicher und sauberer als im Rest der Stadt. Oft sind auf den dreisprachigen Straßenschildern die arabischen Bezeichnungen mit Stickern überklebt und man sieht hin und wieder die orangenen Bändchen der Abzugsgegner. Und Flaggen natürlich. Flaggen überall. Textil-patriotischer als das hier ist wahrscheinlich nicht einmal der Mittlere Westen der USA.

Bevor man auf den großen Platz vor der Klagemauer kommt, gibt es eine zusätzliche Sicherheitsschleuse. Wieder die Auszieh- und Röntgenprozedur. Ich weiß gar nicht, wie oft meine Sachen in der knappen Woche, die ich jetzt hier bin schon geröntgt wurden. Ich muss schon strahlen wie ein kleiner Castor…



Die Klagemauer selbst ist beeindruckend. Zwar sehr viel kleiner (nur 50 Meter lang) als ich sie mir vorgestellt habe, aber auf jeden Fall ergreifend. Unmengen von Orthodoxen, teilweise mit praktischen Plastiküberzügen über ihren Hüten, nur für den Fall, dass es zu regnen beginnt. Eine anonyme Masse von schwarz gekleideten orthodoxen Männern (die Frauen beten getrennt in einem abgegrenzten Bereich, wie es sich gehört in einer anständigen patriarchalen Religionsgemeinschaft) mit Hut und Schläfenlocken, alles sehen sich zum Verwechseln ähnlich.



Es hat schon etwas surreales, einen orthodoxen Juden in traditioneller Kleidung, ganz in schwarz zu sehen, um dann zu entdecken, dass er weiße Ohrstöpsel drin hat und in seiner Manteltasche einen I-Pod trägt. Apple sollte das mal als Plakatmotiv verwenden...


Direkt an der Klagemauer beten die Männer wippend und murmelnd vor sich hin, ein Soldat in Uniform betet mit umgehängtem Gewehr.


Laut Hinweistafel ist das Sprechen vor der Mauer auf ein Minimum zu reduzieren, sofern es nicht dem Lobpreisen des Herrn dient. Außerdem ist Betteln verboten. Ungeachtet dieser beiden Regeln spricht mich ein älterer Mann an und fragt mich, woher ich komme. Auch wenn ich immer die Haltung vertrete, dass meine Generation die Nazi-Verbrechen zwar erinnern und im Bewusstsein halten, nicht jedoch dafür verantwortlich gemacht werden sollte, ist es ein komisches Gefühl „Germany“ zu sagen. Dennoch eine (gast-) freundliche Reaktion seinerseits.

Und dann rückt er mit seinem eigentlichem Anliegen heraus: Er sammelt im Auftrag einer staatlichen Einrichtung Geld für wohltätige Zwecke für jüdische Familien mit vielen Kindern.


Mein erster Gedanke war: Äh, wieso, Israel bekommt allein von den USA knapp 3 Milliarden US $ Entwicklungshilfe im Jahr, das ist mehr als der gesamte afrikanische Kontinent, reicht das denn nicht? Wieso sind arme Neu-Köllner Studenten für die soziale Sicherung kinderreicher Familien zuständig?


Ich hab es dann aber doch etwas anders und höflicher formuliert.


Um beim Thema zu bleiben: Bei den Souvenirständen gibt es Unmengen hurra-patriotischer T-Shirts und Aufkleber, zum Beispiel „Support Israel – now more than ever“ und „Fight terrorism – support the IDF“. Aber der allerbeste war „America don´t worry – Israel stands behind you“, das ganze geschmückt mit einem schnuckeligen F-18 Kampfjet.

Naja, es ist wohl eher andersrum, aber darum soll es jetzt nicht weiter gehen. Aber Humor haben sie schon die T-Shirt-Sprüche-Designer, das muss man ihnen lassen. Der beste Beweis dafür ist das T-Shirt „I got stoned at Gaza“.


In Jerusalemer Psychatrischen Klinik werden ca. 200 Personen im Jahr mit dem sogenannten „Jerusalem-Syndrom“ eingeliefert. Bei den Patienten handelt es sich meist um junge Männer aus religiösem (christlich oder jüdischem) Elternhaus, die, als Tourist das erste Mal in Jerusalem, überwältigt von der überladenen Spiritualität und Geschichte der Stadt, durchdrehen und sich wahlweise für den Messias, Jesus Christus, König David oder sonst irgendeine biblische Gestalt halten.

Oder sich, ganz in der Tradition der Speaker´s Corner im Londoner Hyde Park, selbst für einen neuen Propheten halten. Life of Brian lässt grüßen. Die Betroffenen werden dann ein bis zwei Wochen therapeutisch behandelt und dann wieder auf die Menschheit losgelassen. Aber zumindest ist dann der euphorisch-überschwengliche Mitteilungsdrang einer inneren Genugtuung gewichen.

Aber keine Angst, bei mir ist das genaue Gegenteil eingetreten: Ich bin mir der Sandkornhaftigkeit meiner Existenz in Zeit und Raum verstärkt bewusst geworden und kann über die drei Religionen, die ich heute hautnah miterleben durfte, noch lauter schmunzeln als zuvor.

Zum Abschluß mal wieder eine kleine Preisfrage:

Woher kommt der Name des Spiels „Reise nach Jerusalem“?

Kommt es, wie meine Schwester Marte behauptet, daher, das zur Zeiten der Immigration nach Israel die Plätze auf den Schiffen begrenzt, aber sehr begehrt waren? Deswegen mehr Mitspieler als es Stühle gibt?

Wer eine genaue Antwort weiss: Her damit!!

Zu gewinnen gibt es diesmal, ääääh, äh, sagen wir, zu gewinnen gibt es detailierte Auskünfte darüber, wann und wo der Messias wieder auftaucht. Gute Nacht!