Montag, Januar 23

Wahlkampf, Entwaffnung und Friedensplan


Ramallah, 22. Januar 2006


Die gute Nachricht: In Ramallah ist seit 3 Tagen strahlend blauer Himmel bei geradezu fruehlingshaften Temperaturen
(siehe Foto), was mich umso mehr freut, wenn ich in den Nachrichten lese, dass Deutschland gerade von einer Rekordkaeltewelle ueberrannt wird...




Die schlechte Nachricht: Der Wahlkampf geht in die heisse Phase. Der Wahltag rueckt immer naeher und die konkurrierenden Parteien fahren jetzt die ganz grossen Geschuetze auf: Buehnen, Kundgebungen, Aufmaersche der Anhaengerschaft. Aber das beliebteste Wahlkampfmedium ist und bleibt der LKW, der - mit Flaggen und Postern der jeweiligen Partei geschmueckt, mit einem total uebersteuertem, weil aufs Maximum aufgedrehtem Sound-System und mit teilweise vermummten, aber ohne Ausnahme jubelnden Aktivisten beladen – langsam durch die Strassen der Innenstadt zuckelt. (siehe Foto)

Gerne auch mal 5 mal um den Kreisverkehr. Viel hilft viel!

Und das Allerbeste: Da es anscheinend Auflagen gibt, nicht, wie sonst ueblich- wie wild in die Luft zu ballern, gab es bei dem Hamasaufmarsch im Zentrum von Ramallah heute eine Neuerung der ganz besonderen Art:

Maschinengewehrfeuer vom Tonband !!!

Weil echt schiessen mitten in der Stadt nicht drin ist, sie aber offensichtlich nicht auf ihre martialische "Mann-o-mann-watt-sind-wir-gefaehrlich-Show" verzichten wollen, laeuft eben eine Einspielung zu der Musik und den Reden ueber den Lautsprecherwagen.

Irgendwie haben die Araber insgesamt und die Palaestinenser insbesondere eine Vorliebe fuer
stark gezuckerten tee, fuer Plastikstuehle, fuer Neonroehren - und eben fuer voll aufgedrehte, total uebersteuerte, moeglichst die ganze Stadt beschallende Lautsprecheranlagen...

Bei der Arbeit habe ich die letzten Tage eine Art Presserundschau gemacht, um zu gucken, wie die internationale Presse die Wahlen, die Vorbereitungen auf selbige und ihr wahrscheinliches Ergebnis sowie dessen Konsequenzen einschaetzen.

Einig sind sich alle nur darin, dass die Hamas in irgendeiner Form, sei es als Koalitionspartner der Fatah oder als duldende Opposition im Parlament, in die politische Tagesordnung mit eingebunden werden wird.

Marwan Barghuti, der Spitzenkandidat der Fatah (siehe Foto), der gerade eine mehrfach-lebenslaengliche Haft in einem israelischem Knast absitzt (was nichts ungewohnliches ist; insgesamt sind 10 Kandidaten in Haft) hat angekuendigt, die Hamas zu beteiligen, wenn sie denn der Gewalt gegen Israel und dem Terror abschwoert.



Das gleiche sagt Frank-Walter Steinmeier, das gleiche sagt die israelische Regierung, naehmlich dass sie bereit waere mit der Hamas zu verhandeln, wenn sie besagte Vorraussetzungen erfuellt, also dem Terror abschwoert, ihre Waffen abgibt, Israels Existenzrecht annerkennt und so weiter. Existenzrecht ist wirklich wichtig, aber ich glaube, diese unumkehrbare Realitaet hat mittlerweile auch der letzte verbohrte Hardliner akzeptiert. Was die Waffenfrage anbelangt, so ist die Forderung nach der Entwaffnung ein indirekter Aufruf zum Buergerkrieg.


Und die Frage ist doch: Wieso Waffen abgeben, wenn der Konflikt noch nicht beendet ist. Jeder ander Konflikt in der Geschichte wurde ZUERST geloest, sprich ein Friedensvertrag ausgehandelt und DANN wurden die Konfliktparteien entwaffnet.

Und dann muss man den Kaempfern ja auch noch irgendwas im Gegenzug bieten koennen: Geld, Arbeit, irgendeine Beschaeftigung. Die haben doch nie was anderes gelernt...



Die Hamas, die uebrigens gar nicht unter diesem Namen, sondern als „Liste fuer Veraenderungen und Reformen“ antritt und damit maechtig Punkte nicht nur bei den Islamisten, sondern auch bei saekularen Protestwaehlern sammelt, die mit der Vetternwirtschaft und der Korruption innerhalb der Fatah-dominierten PLO unzufrieden sind, huellt sich bisher in Schweigen. Ueber einen eventuelle Regierungsbeteiligung und ueber Verhandlungen mit Israel wolle man erst nach den Wahlen reden. Manche sagen, sie werden auf jeden Fall verhandeln, andere beharren darauf, sich niemals mit dem Erzfeind an einen Tisch setzen zu wollen. Aber es ist ja auch Wahlkampf...

Klar sei jedoch, dass man sich nicht von den bewaffneten Fluegel und den Milizen (siehe Foto) trennen werde.


Im arabischen Ost-Jerusalem darf jetzt doch gewaehlt werden, wenn auch nicht in Wahlbueros, sondern nur per Briefwahl in bestimmten Postaemtern. Israel hatte sich zuerst komplett geweigert, die Wahlen im 1967 besetzten und anschliessend annektierten Ost-Teil der Stadt sttfinden zu lassen, mit der Begruendung, man wolle der Hamas nicht zu einem Wahlsieg verhelfen.

Schoen und gut, auch irgendwie verstaendlich. Nur leider duerfen die Bewohner von Ost-Jerusalem auch nicht an den israelischen Wahlen zur Knesset teilnehmen. Und das, obwohl die von Israel als „unteilbare und ewige Hauptstadt des juedischen Staates“ proklamierte Stadt wie gesagt als annektiertes und nicht als besetztes Gebiet angesehen wird. (Was die internationale Gemeinschaft uebrigens einstimmig nicht anerkennt: Alle Laender haben ihre Botschaften in Tel Aviv, nur die USA haben ein Konsulat in West-Jerusalem)

Richtigstellung (24.1.): Es gibt doch mehrere Konsulate in Jerusalem, eine genaue Liste gibt es hier, weitere Erlaeuterungen gibt's im Kommentar zu diesem Eintrag.


Fazit: Der Ost-Teil Jerusalems wird zwar als Teil des israelischen Staates angesehen, aber seine Bewohner haben nicht die selben Rechte wie die anderen Staatsbuerger, weil sie eben - dummerweise - Araber sind.

Nach massivem Protest aus Washington ("Wir kuerzen euch die Militaerhilfe, wenn ihr nicht artig seid!") darf jetzt jedenfalls gewaehlt werden, aber die Hamas darf keinen Wahlkampf machen und nicht auf den Stimmzetteln stehen. Aus israelischer Sicht durchaus verstaendlich, doch unverstaendlich fuer ein normales Demokratieverstaendnis. „Okay, ihr duerft waehlen, aber nur zwischen den Parteien, die uns in den Kram passen!“

Das waere so, als wuerde man in Deutschland sagen „Sachsen-Anhalt darf nicht bei den Bundestagswahlen mitmachen, schliesslich waehlen da so viele NPD!“


Waere einerseits zu begruessen, weil die NPD – wie die Hamas ja auch – eine demokratie-feindliche Partei ist, waere aber in keinster Weise zu rechtfertigen, zumal, wenn man behauptet, ein demokratischer Staat zu sein.

Wie dem auch sei: die offizielle israelische Linie ist die, dass nur Parteien an den palaestinensischen Parlamentswahlen teilnehmen duerfen, die keine Gewalt als Mittel der Politik propagieren.


Mein Vorschlag: Wie waere es, wenn an den israelischen Parlamentswahlen Ende Maerz nur Parteien antreten duerfen, die keine Gewalt als Mittel der Politik propagieren?


Dann waere man einem Frieden in dieser Region schon ein gewaltiges Stueck naeher...



1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Hallo Asmus,
zuerst einmal möchte ich dir zu deinem sehr gelungenen Blog gratulieren. Ein Bekannter von dir hat ihn mir empfohlen, und ich lese ihn jedesmal mit Vergnügen.
Eine kleine Präzisierung allerdings zu deiner Behauptung, alle Länder hätten ihre Botschaften in Tel Aviv, nur die USA hätten ein Konsulat in Jerusalem.
Tatsächlich sind alle Botschaften in Tel Aviv; Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Spanien, Schweden, das Vereinigte Königreich und die USA besitzen jedoch zusätzlich ein Konsulat in Jerusalem (die meisten davon im Ostteil), die allerdings nicht den normalerweise für Konsulate üblichen exequatur-Status innehaben. Außerdem sind sie direkt den jeweiligen Außenministerien und nicht den Botschaften in Tel Aviv unterstellt. Diese außergewöhnliche Konstellation ist auf die UN-Resolution 181 von 1947 zurückzuführen.
So, dabei will ich es belassen. Mach weiter so, ich bin gespannt auf deinen nächsten Eintrag!
Michael

Dienstag, Januar 24, 2006 3:21:00 PM  

Kommentar veröffentlichen

<< Home