Belagerungs-Blitz-Bier
Ramallah, 13. Januar 2006
Die letzten Tage ist nichts wirklich aufregendes passiert. Die übliche Routine aus Frühstück, Taxifahrt, Büro, einkaufen, Taxifahrt, Tasse Tee plus Zigarette bei Abu Jamal, Nachrichten gucken, Bett.
Aber ich habe sehr gute Materialien für meine Diplomarbeit gefunden. Teilweise Sachen, die ich in Deutschland seit Ewigkeiten gesucht habe – die stehen im Büro einfach so im Regal. Und ich habe festgestellt, dass ich nicht der erste bin, der sich mit dem Mediensystem Palästinas auseinandersetzt. Es gab schon andere vor mir.
Was gut ist, denn so kann ich auf deren Arbeiten aufbauen und muss nicht ganz bei Null anfangen. Und es hat sich in den letzten ein, zwei Jahren anscheinend einiges getan, so dass es auf jeden Fall spannend bleibt.
Die beiden Deutschen, die über mir im Haus wohnen, sind gestern Abend aus Jordanien zurückgekommen. Beide sehr nett und vor allem Volker hatte einiges zu erzählen. Er ist seit drei Jahren hier und hat in seinem ersten Jahr die Belagerung von Ramallah miterlebt. Die israelische Armee hatte direkt vor dem Star Mountain Rehabilitation Center, wo wir wohnen, einen Checkpoint errichtet und so die einzige Straße, die Ramallah mit der nördlichen Westbank verbindet unter Kontrolle. Ramallah war komplett umzingelt, von der Außenwelt abgeriegelt. Niemand konnte rein oder raus.
Kaum zu glauben, wenn man die Stadt heute sieht. Bisher habe ich nur an einem (leer stehendem) Haus Einschusslöcher gesehen.
Apropos Rumgeballer: Was die Schüsse vor ein paar Tagen anbelangt, so habe ich einen Mitfahrer im Taxi gefragt, was es damit auf sich hatte. Die Antwort ist ebenso einfach wie einleuchtend. Es war der Jahrestag der Aufnahme des bewaffneten Kampfes der PLO. Und das wird natürlich jedes Jahr mit Freudenschüssen gefeiert. Wobei ich mich frage, was die denn eigentlich feiern – erreicht haben sie doch nichts.
Klar, sie haben jetzt eine eigene Regierung. Die kann aber ohne die Zustimmung Israels rein gar nichts von Bedeutung beschließen, ist chronisch pleite und komplett korrupt. Aber die Situation der Palästinenser ist aussichtsloser denn je. Und es gibt keinerlei Hoffnung auf Besserung. Eher im Gegenteil. Immer mehr Gebiete werden durch die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik annektiert, die fruchtbaren Ebenen im Jordantal sind komplett in israelischer Hand.
Das Territorium eines eventuell zukünftigen Staates schrumpft und schrumpft, während die Bevölkerung wächst und wächst. Palästina hat einen jährlichen Bevölkerungszuwachs von 3,74%. Zum Vergleich: Deutschland hat 0,07%.
Neulich zog abends ein Gewitter auf. Ich saß im Büro, als es plötzlich blitzte und sofort danach donnerte. Mein erster Gedanke war: israelischer Luftangriff!
Da sieht man mal, wie schreckhaft und paranoid man wird, wenn man nur eine Woche (in friedlichen Zeiten) in dieser Region ist. Als ich das einem alten Mann im Kaffeehaus erzählt habe, musste er lachen und meinte, dass es vielen hier auch so geht, wenn sie Donner hören.
Dann erzählte er noch, dass er direkt am Fuße des Hügels wohnt, auf dem die jüdische Siedlung ist und das die Siedler im schon mehrmals sämtliche Fenster zerschossen haben. So macht man sich also bei seinen Nachbarn unbeliebt…
Gestern Abend habe ich mir das erste Mal ein Bier gegönnt. Taybeh – the finest in the Middle East. Gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot von 1516 in Ramallah. Ist süffig, kostet nur 6 Schekel (1,10 €) die Flasche und man unterstützt die lokale Wirtschaft, anstatt teures Importbier aus Deutschland oder Holland zu kaufen (Beck´s und Heinecken kosten 20 Schekel). Außerdem haben sie verdammt coole Werbung, wie ich heute bei einem Spaziergang durch den Westen der Stadt entdecken konnte.
Insgesamt ist das Preisniveau hier erstaunlich hoch. Preise wie in Deutschland. Was enorm ist, wenn man bedenkt, wie wenig die Leute hier verdienen. Die können sich viele Dinge, die es in dem doch recht vielfältigen Angebot gibt, gar nicht leisten. Produkte, die vor Ort hergestellt werden sing günstig, zum Beispiel Brot oder eingelegte Oliven. Da gibt es 200 Gramm für einen Euro. Aber alles andere, was aus dem Ausland (meistens aus Jordanien oder Israel) importiert werden muss, ist richtig teuer.
Ansonsten haben wir hier seit Tagen praktisch Dauerregen, immer wieder dichten Nebel und eine unangenehme Kälte, die einem die Hosenbeine hoch kriecht. Dazu kommt, dass die Häuser, insbesondere die Fenster, extrem schlecht isoliert sind. Lohnt sich ja auch nicht, teuer Geld für gute Isolierung auszugeben, wenn´s ohnehin nur zwei Monate im Jahr richtig kalt wird. Aber bei einem solchen Wetter möchte man am liebsten gar nicht aus dem Bett kriechen. Ich werde mir demnächst mal ein, zwei Tage frei nehmen und entweder ans Tote oder ans Rote Meer fahren, mal gucken, was sich ergibt. Schließlich muss ich es ausnutzen, dass die Entfernungen in diesem Landstrich so gering sind.
Und ich mit meinem Pass genieße – im Gegensatz zu Palästinensern UND Israelis - das Privileg nahezu uneingeschränkter Bewegungsfreiheit. Denn die dürfen nicht einfach so in die Gebiete des jeweils anderen fahren. Ist ja auch zu gefährlich, wenn man sich seit Jahrzehnten anfeindet…
Ab morgen sind die Feiertage von Eid Al-Adha vorbei und das normale, turbulente, laute chaotische, sympathisch-improvisierte Leben geht wieder los. War schon mächtig strange die letzten Tage. Kaum Leute und Autos auf den Straßen, bis auf wenige Ausnahmen hatten alle Geschäfte zu. Es war richtig schwierig was zu essen zu kaufen. Nicht einmal das gewohnte Hupkonzert erfüllte die Stadt mit Leben. Aber wie gesagt, ab morgen gibt es wieder die volle Dröhnung arabischen Innenstadt-Flairs. Ich freue mich schon drauf!
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