Montag, Januar 16

Besuch in der Muqata' a

Ramallah, 14. Januar 2006


Heute habe ich mich nach einer sehr unruhigen und schlafarmen Nacht (Vollmond!) auf die Suche nach einer Handykarte gemacht. Und zwar wollte ich eine des israelischen Orange-Netztes, weil man mit dem überall – in Israel und Palästina - Empfang hat und es deutlich günstiger ist, in dieses Netz, statt ins palästinensische Jawwal-Netz zu telefonieren.


Beim Festnetz ist es ähnlich. Von Deutschland nach Israel zu telefonieren kostet mit Billig-Vorwahl 2 Cent die Minute. Eine palästinensische Nummer anzurufen kostet (auch mit Billig-Vorwahl) 4 Cent die Minute. Ist auch nicht furchtbar teuer, also in Ordnung, könnte man denken. Interessant wird es erst, wenn man erfährt, dass das Telefonnetz in den palästinensischen Autonomiegebieten von der staatlichen israelischen Telefongesellschaft betrieben wird. Und die berechnen einfach mal so das Doppelte. Obwohl es das selbe Netz ist.

Beim Strom – der kommt hier vom staatlichen israelischen Stromversorger – ist die Abzocke nicht ganz so extrem. Palästinensische Haushalte zahlen lediglich 10% mehr für die Kilowattstunde als Stromkunden, die das Glück haben, Israelis zu sein.

Ich muss wirklich aufpassen, dass ich hier nicht zum Israel-Hasser heranreife.

Aber wenn man diese systematische, alle Lebensbereiche betreffende Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Unterdrückung hier tagtäglich mitbekommt, dazu jeden Tag Geschichten von Vertreibung, beim Spielen während der Ausgangssperre erschossenen Kindern und Schikanen an den Checkpoints, dann kriegt man ein ganz schön dicken Hals.

Nicht auf DIE Israelis, sondern auf die Besatzungsarmee, die Siedler und die Regierungen, die, egal welcher Couleur, die Besatzung und den Ausbau der Siedlungen vorangetrieben haben. Wenn man wirklich Frieden gewollt hätte, hätte man die besetzten Gebiete nach der Eroberung zurückgeben können und – um Israels berechtigtes Sicherheitsinteresse zu wahren – im Falle eines Angriffes der Nachbarstaaten mit ernsthaften Maßnahmen drohen können.

An die andere Seite der Medaille werde ich hier nur durch die Märtyrer-Plakate und Wandsprüche erinnert. Junge Männer, die mit ihrem bisschen Bartflaum zwar noch nicht wie richtige Mujjahedin aussehen, sich aber mächtig Mühe geben, grimmig zu gucken. Wann die wo wie viel Leute mit in den Tod gerissen haben weiß ich nicht. Was ich weiß, ist dass diese Taten – aus welcher Vorgeschichte heraus sie auch motiviert gewesen sein möchten – brutal, menschenverachtend und einem dauerhaften Frieden – den ja angeblich alle wollen - alles andere nützlich sind.

Bei aller Skepsis (um es mal vorsichtig auszudrücken) der offiziellen israelischen Haltung gegenüber, bin ich gespannt, was die ganz normalen Leute in Israel über die ganze Sache denken. Denn natürlich gibt es auch auf der anderen Seite der Apartheids-Mauer nette, aufgeschlossene und friedfertige Menschen, die nicht glücklich sind mit der ganze Scheiße, die in ihrem Namen hier fabriziert wird. Es gibt dort beispielsweise die Refuseniks, SoldatInnen, die sich weigern, in den besetzten Gebieten Dienst zu leisten. Und ich freue mich darauf die andere Seite kennen zu lernen, wenn ich das Kernland Israel bereise…


Doch mein ursprüngliches Vorhaben - eine simple Telefonkarte zu kaufen - war nicht so leicht, wie es eigentlich sein sollte. Es gab nirgendwo welche. Überall die gleiche Antwort: Mumkin bukra! Morgen vielleicht!


Statt dessen war ich dann in der Muqa´ata, dem Amtsitz des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas und habe das Grab von Yassir Arafat besucht. Das Areal selbst wurde in den 1920er Jahren von den Briten als Gefängnisanlage gebaut, ist einige Hektar groß und von einer meterhohen Mauer mit sandsackbefestigten Wachtürmen umgeben. Alles in allem aber eher runtergekommen und lächerlich als protzig und bedrohlich.

Kein Vergleich zum Kanzleramt oder Downing Street Nr. 10 jedenfalls. Ich fahre jetzt seit 10 Tagen zwei mal täglich daran vorbei und jetzt wollte ich das Ganze auch mal von Innen sehen.

An den Eingangstoren stehen immer einige Sicherheitskräfte mit den dunkelgrünen Baretten der PNA (Palestinian National Authority) und halten sowohl Wache als auch ihre Kalaschnikows wie angewachsen in den Händen. Und zwar nicht diese doofen, lächerlichen mit Holzkolben, sondern die coolen, die mit der ausklappbaren Schulterstütze.




Alle waren sehr freundlich und neugierig, woher ich komme, was hier mache und so weiter. Sogar Englisch sprachen sie teilweise. Im Gegensatz zu Syrien nehmen sie hier bei den Sicherheitsdiensten wohl nicht jeden Trottel, sondern nur Trottel mit Schulabschluss.


Innen drin wimmelt es vor Jeeps und Uniformierten, ein großen Portrait auf einem Rundbogen markiert den Eingang zum Büro des Präsidenten. Der Schutt der während der Belagerung des Amtsitzes 2002 durch massiven Panzerbeschuss zerstörten Gebäude ist notdürftig zur Seite geschafft worden, trotzdem sieht es noch immer aus wie eine Baustelle.


Das Grab Arafats selbst ist eine kleine gläserne Gruft, davor Blumengestecke und eine Gedenktafel. Die beiden wachhabenden Ehrengardisten lümmeln dick eingepackt auf Plastikstühlen herum und springen, als sie mich kommen sehen, auf, um in ehrwürdiger Haltung zu beiden Seiten des Arrangements Stellung zu beziehen.



Es ist geplant, das doch sehr dürftige und der Person Arafat ganz und gar nicht würdige Gewächshaus-Grab demnächst in ein echtes Mausoleum mit Moschee auszubauen.



Immerhin: das Bauschild steht schon. Der Rest wird – inscha´llah! - in den nächsten 2 bis 20 Jahren folgen.


So ruhig und relaxt die Araber sind wenn es um Arbeiten, um Erledigungen oder einfach nur für den Begriff von Zeit geht (was mir sehr sympathisch ist) und was sich in so schönen Sprichwörtern wie „Als Allah die Zeit schuf, schuf er sie reichlich“ und „Wer keine Zeit hat, ist bereits tot“ wieder spiegelt, so hektisch und ungeduldig sind sie in anderen Lebensbereichen.

Beispielsweise Ungeduld im Straßenverkehr:

Da wird gehupt, was das Zeug hält, mit Vorliebe um den anderen Verkehrsteilnehmern zu signalisieren, dass man bald zum Überholen ansetzt, gerade am Überholen ist oder jetzt mit dem Überholen fertig ist. Oder um dem Vordermann klar zu machen, dass die Ampel, an der man gemeinsam steht in den nächsten paar Sekunden grün werden wird.

Auf den Straßen sind deswegen auch alle paar hundert Meter so Hubbel (im englischen nennt man die Dinger „bumpers“) nachträglich angebracht worden, damit die Autos abbremsen müssen. Ohne diese Hindernisse würden sie sich alle zu Tode heizen.

Anderes Beispiel für Ungeduld:

Bus oder Sammeltaxi kommt an seinem Ziel an. Und anstatt die Leute erst mal aussteigen zu lassen, drängeln die Wartenden hinein, sobald sich die einzig vorhandene Türe öffnet. Heute habe ich die Reindrängelnden einfach mal auf deutsch angequatscht, nach dem Motto:

„Ey Alter, lass uns doch ersma austeigen!!!“ Hat natürlich niemand verstanden, aber musste mal sein. Ich erwarte ja nicht, dass sich Palästinenser wie die Engländer in Reihen aufstellen, selbst wenn sie nur zu zweit sind, aber ein bisschen mehr Rationalität und ein Funken Disziplin könnte denen wirklich nicht schaden.

Wobei wir beim dritten Beispiel für Ungeduld wären:

Nachdem sich die Israelis im August 2005 nach 38jähriger Besatzung aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen haben, konnten viele Palästinenser zum ersten Mal ans Meer, welches zwar all die Jahre direkt vor ihrer Nase lag, aber als Privatstrände für die ideologisch verblendeten Vollidioten von Siedlern reserviert war.

Die wollten natürlich eigene Strände für ihre schmucken Häuser, ist ihnen ja auch nicht zuzumuten mit Arabern zusammen den Sonnenuntergang anzuschauen.

Genauso wenig wie es weißen Südafrikanern zuzumuten war, die selben Strände wie Neger zu benutzen – wo kämen wir den da hin?!?

Aber ich schweife schon wieder ab. Was passiert also, als die Palästinenser im Freudentaumel zu den ihnen nun zugänglichen Strände rennen? Sechs Leute ertrinken, weil sie nicht schwimmen können, aber trotzdem unbedingt ins Wasser mussten.

Das ist echt symptomatisch für die arabische Geisteshaltung. Immer Yalla!Yalla! ohne mal ne Sekunde (über mittel- und langfristige Folgen) nachzudenken. Aber, um mit Wiglaf Droste zu sprechen: Gaza-Streifen interessiert mich nicht – ich habe selbst Problemzonen genug!

Eine weitere skurrile Entdeckung des heutigen Tages war, dass es beim Buchhändler zwar keine englischsprachigen Bücher gibt, dafür aber „Mein Kampf“ und „Sophie´s Welt“ in trauter Eintracht nebeneinander unter der Rubrik Philosophie stehen.

Beim Pizza essen (übrigens sehr zu empfehlen: „Mr. Pizza“ in Al-Bireh. Riesige, knusprige Pizza mit ca. 5 cm dickem Belag für 30 Schekel. Und ich habe sie trotz Bärenhungers nur mit Mühe und Not geschafft, was echt was heißen will...) haben mir dann zwei freundliche ältere Damen Hamas-Wahlwerbeprospekte zugesteckt und mich gebeten, doch bitte Hamas zu wählen. Dass ich persönlich lieber DIE PARTEI wähle, habe ich ihnen nicht erzählt, zumal deren Slogan „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten!“ in dem hiesigen Kontext alles andere als witzig ist.