Sonntag, Januar 8

Tagesausflug nach Bir-Zeit

Ramallah, 7. Januar 2006


Heute war gleich mal ein freier Tag, denn am Sonntag fängt die Hajj an. Da es über Mittag in Strömen regnete, habe ich die Zeit mit Literatur im Bett verbracht und bin erst Nachmittags zu einem Ausflug nach Bir-Zeit aufgebrochen. Kleine verschlafene Stadt, die meisten Geschäfte hatten wegen der Feiertage geschlossen. Also bin ich durch die Straßen geschlendert und habe mal wieder Wahlplakate bewundert.

Als einen Straßenzug fotografiert habe, in dem gerade eine ganze Mannschaft Hamas-Aktivisten mit grünen Hamas-Käppis am kleistern war, wurde mir von denen signalisiert, dass sie doch bitte nicht fotografiert werden möchten.


Sowieso hatte ich den Eindruck, dass die Hamas in Bir-Zeit ungleich präsenter ist als in Ramallah. Überall Hamas-Flaggen: an Straßenlaternen, an der Moschee, an Ladentüren.


Nach einem Falafel bin ich dann in ein kleines verrauchtes Straßencafé, in dem ein Dutzend alter Männer größtenteils mit Karten spielen, alle jedoch mit rauchen und Kaffee schlürfen beschäftigt waren. Mein Eintreten und mein „Marhaba!“ wurde mit einer Schrecksekunde überraschten Schweigens und einer anschließenden vielstimmigen Entgegnung „Marhabten!“ erwidert.

Noch bevor der Wirt mir ein Glas tiefschwarzen Kaffee brachte, sprachen mich zwei an der provisorischen Theke sitzenden alten Männer, der eine sehr europäisch gekleidet, der andere eher traditionell mit Kiffayeh auf dem Kopf, auf englisch an. Die üblichen Erkundungen nach Herkunftsland, ob ich das erste mal in Palästina sei, wie es mir gefällt. Im Gegensatz zu so manchem andern Land kommt es mir hier aber nicht so vor, als seien das floskelartige Touristenanquatschsprüche, sondern ernsthaftes Interesse an Besuchern dieses so bekannten Flecken Erde, in den so wenig Gäste kommen.


Und natürlich stößt meine Staatsbürgerschaft wieder einmal auf helle Begeisterung. „Germany number one government in the world!“ Nicht nur wegen der standhaften Ablehnung zum Irak-Krieg, sondern - wahrscheinlich bedingt durch das hohe Alter der Anwesenden – auch wegen dem zweiten Weltkrieg. (Mein Einwand, dass die mittlerweile ehemalige deutsche Regierung den Amerikanern aber Überflugsrechte gewährt hat, und sie deshalb lieber konsequente Kriegsgegner wie die Türkei, Österreich oder die Schweiz bewundern sollten, hat ihre Begeisterung kein bisschen geschmälert.)

Allerdings kamen sie nicht, wie sonst viele Araber auf Hitler und seine in ihren Augen gar nicht soooo schlechte Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sprechen, sondern erklärten mir, dass sie damals alle für Deutschland gewesen sein, weil die Deutschen gegen die verhassten Briten Krieg geführt haben. Und der Feind meines Feindes ist mein Freund…

Anschließend auf dem Heimweg im Sammeltaxi (diesmal wusste der Fahrer nicht, wo ich wohne – ich musste es ihm sagen) ist mir erneut aufgefallen, wie ehrlich die Taxifahrer und Händler hier sind. Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Touristenabzocke, die ich in Marokko und in Syrien erlebt habe, verlangt hier niemand doppelt und dreifache Touristenpreise. Wenn eine Fahrt 3 ½ Schekel kostet, dann kassiert man auch 3 ½. Und nicht 5, 7 oder gar 10.

Als ich beim Bezahlen in meinem Portemonnaie nach den verlangten 2 Schekel krame, meint der Fahrer noch: „If you don´t have it – no problem!“.

Ich bin zwar (für deutsche Verhältnisse) nicht reich, aber 2 Schekel habe ich noch…

Bei meiner Rückkehr zum Star Mountain bin ich wie immer noch zu Abu Jamal, dem Wachmann der Anlage, in dessen Kabuff auf einen Tee und minimalen Small Talk vorbei gegangen. Trotz der bereits erwähnten Kommunikationsschwierigkeiten – er kann außer „good“ kein Wort englisch - können wir uns erstaunlich gut verständigen.


Was ich heute von seinen Erzählungen verstanden habe, ist, dass er seit 24 Jahren hier arbeitet und das er irgendwann mal von einem israelischen Soldaten am Checkpoint geschlagen worden ist, der ihn nicht durchlassen wollte. Deswegen trägt er jetzt immer eine Bescheinigung der Einrichtung bei sich, die ihm bescheinigt, dass er hier arbeitet und ihm gefälligst Bewegungsfreiheit zu gewähren ist.

Abends regnet es wieder und der Empfang der Satellitenschüssel ist so eingeschränkt, dass ich außer VOX keine deutschen Programme rein bekomme. Also gucke ich Nachrichten mit erheblichen Bild- und Tonstörungen auf BBC. Der Wahlkampf in irgendeinen Bundesland ist so unendlich weit weg, der in Palästina hingegen so greifbar nahe. Ein Reporter berichtet vom großen Kreisverkehr Al-Manareh, dem Stadtzentrum von Ramallah, um den ich die letzten zwei Tage mehrmals drum herum gelaufen bin.